03 - Tod im Skriptorium
warf einen raschen Blick auf das Kriegsschiff aus Laigin.
»Und nicht alle davon kommen aus der Tiefe des Meeres«, bemerkte sie leise.
Der alte Fischer folgte ihrem Blick und grinste.
»Ich glaube, da hast du recht, Schwester. Ich denke, eines Tages werden die Fischer der Corco Loígde ihre Harpunen auf seltsamere Wesen schleudern müssen als auf einen armen Riesenhai.«
Er wandte sich ab und stieß sein Abziehmesser mit Genuß in den mächtigen Kadaver.
Fidelma ging weiter den Strand entlang.
Cass eilte ihr nach. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her, dann meinte Cass: »Die ersten Anzeichen für einen Kriegsausbruch sind nicht zu übersehen.«
»Das ist mir nicht entgangen«, erwiderte Fidelma. »Ich kann aber keine Wunder vollbringen, auch wenn mein Bruder das von mir erwartet.«
»Vielleicht müssen wir uns damit abfinden, vielleicht ist es unser Schicksal, daß es zum Krieg kommt.«
»Schicksal!« entgegnete Fidelma zornig. »Ich glaube nicht an die Vorherbestimmung, selbst wenn manche Männer der Kirche das tun. Das Schicksal ist nur eine Entschuldigung des Tyrannen für seine Verbrechen und eine Entschuldigung des Toren dafür, daß er sich dem Tyrannen nicht entgegenstellt.«
»Wie willst du aber das Unausweichliche ändern?« fragte Cass.
»Indem ich erst einmal sage, daß es nicht unausweichlich ist, und dann darangehe, etwas dagegen zu unternehmen!« erwiderte sie energisch.
Wenn sie zu diesem Zeitpunkt etwas nicht gebrauchen konnte, dann war es jemand, der ihr einreden wollte, die Dinge seien unvermeidlich. Sophokles hatte geschrieben, daß man das, was die Götter über einen verhängten, mit Standhaftigkeit ertragen müsse. Doch damit zu erklären, daß die eigenen Fehlleistungen einfach Schicksal seien, das war eine Philosophie, die Fidelma fern lag. Der Schicksalsglaube diente nur dazu, sich eine Wahl zu ersparen.
Cass hob die Hand, öffnete sie und machte eine resignierende Geste.
»Deine Philosophie ist lobenswert, Fidelma. Aber manchmal …«
»Genug davon!«
Ihr Ton ließ Cass verstummen. Colgú von Cashel hatte seiner Schwester eine große Verantwortung auf die Schultern geladen – eine zu große vielleicht? Wie Cass es sah, war der Mord an Dacán ein Rätsel, das nie gelöst werden würde. Da war es wohl besser, sich einfach auf einen Krieg mit Laigin vorzubereiten, als die Zeit damit zu vergeuden, die verwickelten Fäden dieses Geheimnisses entwirren zu wollen.
Fidelma setzte sich auf einen Felsen und schaute aufs Meer hinaus. Cass stand neben ihr. Während sie nachdachte, versuchte sie sich an das zu erinnern, was ihr alter Lehrer, der Brehon Morann von Tara, ihr einmal gesagt hatte.
»Lieber zweimal fragen als dich einmal verlaufen, mein Kind«, hatte er ihr geraten, als sie einmal eine Aufgabe nicht lösen konnte, weil sie die Ausgangssituation nicht mitbekommen hatte, die er vorgegeben hatte.
Welche Frage hatte sie nicht gestellt; welche Ausgangssituation hatte sie nicht ganz begriffen?
Plötzlich sprang Fidelma auf. »Ich muß doch blöd sein!« verkündete sie.
»Wieso denn?« fragte Cass.
»Ich habe im stillen schon über die Unlösbarkeit meiner Aufgabe gestöhnt, noch ehe ich sie richtig in Angriff genommen habe.«
»Und ich habe geglaubt, du hättest einen sehr guten Anfang gemacht.«
»Ich bin bisher bloß an der Oberfläche geblieben«, antwortete sie. »Ich habe ein paar Fragen gestellt, aber nicht wirklich nach der Wahrheit gesucht. Komm, es gibt viel zu tun!«
Sie liefen rasch zurück zur Abtei, durch die Tür in der Mauer und über den gepflasterten Hof. Hier und da wandten sich kleine Gruppen von Schülern und einige der unterrichtenden Mönche und Nonnen nach ihnen um und musterten sie verstohlen, denn der Zweck ihres Kommens hatte sich schnell in der Abtei herumgesprochen. Fidelma und Cass ignorierten die Blicke und schritten dem Haupttor zu, wo sie fanden, wen sie suchten, die Schwester Necht nämlich.
Fidelma wollte sie gerade anrufen, als Necht aufsah und sie erblickte. Sie rannte ihr mit unziemlicher Eile entgegen.
»Schwester Fidelma!« keuchte sie. »Ich wollte dich gerade suchen gehen. Bruder Tóla hat mir dies Päckchen für dich gegeben. Es ist von Bruder Martan.«
Sie reichte Fidelma etwas, das in Sackleinen eingewickelt war. Fidelma nahm es und schlug das Leinen auseinander. Darin lagen mehrere lange Stoffstreifen, die anscheinend von einem größeren Stück abgerissen worden waren. Sie hatten tiefbraune Flecken,
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