03 - Winnetou III
aber ich werde ihn nicht erblicken, wenn ich einst in den Himmel der Seligen gelange.“
„Wo ist der Himmel meines Bruders?“ fragte er.
„Wo sind die Jagdgründe meines Freundes?“ antwortete ich.
„Manitou besitzt die ganze Welt und alle Sterne!“ erklärte er.
„Warum gibt der große Manitou seinen roten Söhnen einen so kleinen Teil der Welt und seinen weißen Kindern alles? Was sind die Jagdgründe der Indianer gegen die unendliche Herrlichkeit, in welcher die Seligen der Weißen wohnen werden? Hat Manitou die Roten weniger lieb? O nein! Meine roten Brüder glauben an eine große, fürchterliche Lüge. Der Glaube der weißen Männer sagt: ‚Der gute Manitou ist der Vater über alle seine Kinder im Himmel und auf Erden.‘ Der Glaube der roten Männer aber sagt: ‚Manitou ist nur der Herr der Roten; er gebietet, die Weißen alle zu töten.‘ Mein Bruder Winnetou ist gerecht und weise; er denke nach! Ist der Manitou der Roten auch der Manitou der Weißen? Warum betrügt er dann seine roten Söhne? Warum läßt er sie von der Erde verschwinden und erlaubt den Weißen, zu Millionen anzuwachsen und die Erde zu beherrschen? Oder ist der Manitou der Roten ein anderer als der Manitou der Weißen? Dann ist der Manitou der Weißen mächtiger und gütiger als der Manitou der Roten! Der Manitou der Bleichgesichter gibt ihnen die ganze Erde mit tausend Freuden und Wonnen, und dann läßt er sie herrschen über die Seligkeit aller Himmel von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der Manitou der Roten aber gibt den Seinigen nur die wilde Savanne und die öden Berge, die Tiere des Waldes samt einem immerwährenden Töten und Morden, und sodann verheißt er ihnen nach dem Tod die finsteren Jagdgründe, in denen der Mord von neuem beginnt. Die roten Krieger glauben ihren Medizinmännern, welche sagen, daß in den ewigen Jagdgründen die Indianer alle Seelen der Weißen töten werden. Wenn nun mein Bruder in diesen blutigen Gründen einst seinem Freund Scharlih begegnete, würde er ihn töten?“
„Uff!“ rief da der Apache laut und eifrig. „Winnetou würde die Seele seines guten Bruders verteidigen gegen alle roten Männer. Howgh!“
„So überlege mein Bruder, ob die Medizinmänner nicht eine Lüge sagen!“
Er schwieg nachdenklich, und ich hütete mich sehr, die Wirkung meiner Worte durch weitere Bemerkungen zu beeinträchtigen.
Wir kannten uns seit Jahren. Wir hatten Leid und Freud redlich miteinander geteilt und uns in jeder Gefahr und Not mit todesmutiger Aufopferung beigestanden. Aber niemals war, seiner einstigen Bitte gemäß, zwischen uns ein Wort über den Glauben gesprochen worden; niemals hatte ich nur mit einer Silbe versucht, zerstörend in seine religiösen Anschauungen einzudringen. Ich wußte, daß er grad dieses mir sehr hoch anrechnete, und darum mußten meine jetzigen Vorstellungen von doppelter Wirkung auf ihn sein.
Nach einer Weile fragte er:
„Warum sind nicht alle weißen Männer wie mein Bruder Scharlih? Wären sie so wie er, so würde Winnetou ihren Priestern glauben!“
„Warum sind nicht alle roten Männer so wie mein Bruder Winnetou?“ antwortete ich. „Es gibt Gute und Böse unter den Weißen und unter den roten Männern. Die Erde ist weit über tausend Tagereisen lang, und ebenso groß ist auch ihre Breite. Mein Freund kennt nur einen ganz kleinen Teil von ihr. Überall herrschen die Weißen, aber grad da, wo mein Bruder lebt, in der wilden Savanne, verstecken sich die Bösen der Bleichgesichter, welche vor den Gesetzen der Guten haben fliehen müssen. Darum denkt Winnetou, daß es so viele schlimme Bleichgesichter gibt. Mein Bruder wandert einsam durch die Berge; er jagt den Bison und tötet seine Feinde. Worüber kann er sich freuen? Lauert nicht der Tod hinter jedem Baum und Strauch auf ihn? Hat er einmal einem Roten sein ganzes Vertrauen und seine ganze Liebe schenken können? Ist sein Leben nicht bloß Arbeit, Sorge, Wachsamkeit und Täuschung gewesen? Findet er Ruhe, Frieden, Trost und Erquickung für seine ermüdete Seele etwa unter den häßlichen Skalpen des Wigwams oder auf dem verräterischen Lager der Wildnis? Der Heiland der weißen Männer aber sagt: ‚Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!‘ Ich bin dem Heiland nachgegangen und habe den Frieden des Herzens gefunden. Warum will mein Bruder nicht auch zu ihm gehen?“
„Winnetou kennt diesen Heiland nicht!“ sagte er.
„Soll ich meinem Freund von ihm erzählen?“
Er
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