03 - Winnetou III
wenig.
Da aber, wo wir uns jetzt befanden, machte die Natur eine Ausnahme.
Es war ein Talkessel, welcher mehrere Quellen besaß, die seinen Grund gefüllt und einen See gebildet hatten, dessen Wasser nach Westen ablief, während wir uns jetzt an dem östlichen Ufer befanden. Die dichtbewaldeten Wände des Tales stiegen hoch, hoch empor und gaben dem unergründlich tiefen See jene düstere Farbe, die uns veranlaßt hatte, ihn ‚dunkles Wasser‘ zu nennen, während die Mimbrenjos ihn, wie wir gestern erfahren hatten, ‚Schwarzen See‘ nannten. Die nördliche Talwand war die höchste. Aus ihr trat in Pfeilergestalt ein nackter Felsen hervor, der waagerecht aus dem Wasser stieg. Hinter ihm sammelte sich die Feuchtigkeit der viel höheren und bewaldeten Kuppe und hatte sich durch sein Gestein einen Abfluß gebohrt, durch den es wie aus dem Schlauch einer Gießkanne wohl hundert Fuß tief in den See stürzte. Das war das ‚fallende Wasser‘ in Winnetous Testament. Grad über diesem Wasserfall sah man eine Höhle im Gestein, zu welcher wir damals nicht gelangen konnten, deren Zugang aber Winnetou später entdeckt haben mußte. Und wieder über dieser Höhle ragte der oberste Teil des Felsens wie ein Schutzdach oder eine riesige, frei in die Luft strebende Platte vor, welche so schwer sein mußte, daß man sich darüber wunderte, daß sie nicht längst in die Tiefe gestürzt war.
Rechts von diesem Felsen und eng an ihn gelehnt, gab es einen zweiten, auf welchem wir damals einen Grizzly erlegt hatten. Darum nannte Winnetou ihn Tseschosch, den Fels des Bären. Dies zur Erläuterung.
Wir standen vor der Entscheidung, und so konnte ich nur wenig schlafen. Kaum graute unten bei uns der Tag, so machten wir uns daran, nach etwaigen Spuren von Santer zu suchen. Wir fanden nichts. Darum beschloß ich, nach oben zu steigen, wo er nun jedenfalls zu suchen war. Ich nahm nur Til-Lata und Pida mit. Wir folgten dem von Winnetou erwähnten Fichtenwald in die Höhe, bis wir auf dem Felsen des Bären standen. „Dort steigst du vom Pferd und kletterst – – –“ weiter hatte ich im Testament nicht lesen können. Wohin sollte ich klettern? Höchst wahrscheinlich nach der Höhle da oben. Das mußte versucht werden. Das Terrain war sehr steil, aber es ging, höher und höher und immer höher, bis wir uns seitlich unter der Höhle befanden. Weiter konnten wir nicht. Wenn es da einen Weg gab, so hatten wir ihn verfehlt, weil ich Winnetous Beschreibung nicht besaß. Eben wollte ich umkehren, da fiel ein Schuß, und eine Kugel schlug neben mir an das Gestein. Dann schrie eine Stimme von oben herunter:
„Hund, du bist wieder frei! Ich glaubte nur die Kiowas hinter mir. Fahr zum Teufel!“
Es fiel ein zweiter Schuß, der auch nicht traf. Wir blickten in die Höhe und sahen Santer vorn am Rand der Höhle stehen.
„Willst du das Testament des Apachen holen und den Schatz heben?“ hohnlachte er herab. „Du kommst zu spät. Ich bin schon da, und die Zündschnur ist schon angebrannt. Du bekommst nichts, gar nichts, und die verrückten Stiftungen und Schenkungen nehme ich auch für mich!“
Er unterbrach sich mit einem wiehernden Gelächter und fuhr dann fort:
„Du kennst den Weg nicht, wie ich sehe? Auch den nicht, der drüben wieder hinunterführt? Da schaffe ich das Gold hinab, ohne daß ihr es hindern könnt. Ihr habt den weiten Weg umsonst gemacht. Dieses Mal bin ich der Sieger, haha-hahaha!“
Was war zu tun? Er war oben bei dem Schatz, und wir konnten nicht hinauf. Vielleicht fanden wir den Weg noch, aber dann war er mit dem Raub wohl schon fort; er hatte ja von einem zweiten Weg gesprochen. Da gab es kein Bedenken, ich mußte ihm eine Kugel hinaufschicken. Nur war es schwer, von unserm Standort aus in die Höhe zu schießen; er hatte ja auch nicht getroffen. Ich stieg daher etwas tiefer, schräg hinab und nahm den Stutzen von der Schulter.
„Oh, der Hund will schießen!“ rief er. „Das geht hier schlecht. Ich werde mich dir besser stellen.“
Er verschwand, doch nach kurzer Zeit erschien er wieder, hoch oben auf der Hütte. Da trat er vor, immer weiter vor, fast bis an den Rand; fast schwindelte mir. Er hielt etwas Weißes in der Hand.
„Seht herauf!“ schrie er herab. „Hier ist das Testament. Ich kenne es schon auswendig und brauch es nicht mehr. Der See da unten soll es haben; Ihr bekommt es nicht.“
Er zerriß die Blätter und warf die Fetzen in die Luft, die langsam und weiß niederwirbelten, um in das
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