03 - Winnetou III
einen einzigen Skalp haben!“
„Wer wollte uns ihn nehmen?“ entgegnete Sam.
„Die Schlangen von Racurroh.“
„Wird ihnen nicht gelingen. Sie werden sich übrigens bald davonmachen, denn sie befinden sich auf dem Kriegspfad.“
„Mein weißer Bruder ist ein kluger Jäger und tapferer Krieger, doch kennt er nicht die Wege der Comanchen. Diese roten Männer werden in die Berge gehen zum Grab ihres Häuptlings Tschu-ga-chat (‚Der dunkle Rauch‘), wie sie es jedes Jahr tun an dem Tag, an welchem er getötet wurde von Winnetou, dem Häuptling der Apachen.“
Jetzt war es auf einmal erklärt, warum er diesen Trupp Comanchen verfolgte.
„Das ist ganz dasselbe“, meinte Sam. „Wenn sie auf einem solchen Weg gehen, werden sie sich zum Beispiel den Kuckuck um uns und die Stakemen kümmern.“
„Auch ich möchte mich nicht unnötigerweise mit Blut beflecken“, stimmte ich bei.
„Meine weißen Brüder mögen tun, was ihnen beliebt“, sprach der Apache. „Sie schonen den Feind, der ein Räuber und Mörder ist, und werden dafür ihr eigenes Blut geben. Der Apache hat gesprochen. Howgh!“
Es tat mir eigentlich leid, ihm entgegentreten zu müssen; aber es war heute bereits das Blut eines Menschen geflossen, und es widerstrebte meinen innersten Gefühlen, selbst gegen Mörder die Waffe zu richten, wenn dies nicht von erlaubter Notwehr geboten war.
Noch hing ich diesen Gedanken nach, als vom Lagerplatz der Comanchen her Rufe erschollen, welche auf ein plötzlich eingetretenes, unvorhergesehenes Ereignis schließen ließen. Wir bemerkten, daß auch der Capitano mit seinem Begleiter höchst aufmerksam wurde, und so pirschte ich mich in einem Bogen an den Waldsaum, um die Ursache zu erfahren.
Als ich einen Punkt erreicht hatte, der mir einen sichern Durchblick bot, sah ich die Comanchen dicht gedrängt am Ufer des Flusses stehen und einen Gegenstand betrachten, den ich nicht erkennen konnte. Dieser wurde nach einiger Zeit wieder in den Fluß gestoßen, und sämtliche Krieger bildeten einen Kreis um die zwei Häuptlinge und die beiden Weißen. Dann saßen alle plötzlich auf und setzten ihren Weg fort. Ich kehrte zurück.
„Was war es?“ fragte Bernard.
„Sie haben etwas im Fluß gefunden, vielleicht gar Holferts Leiche.“
Winnetou horchte auf. Dann wäre unsere Anwesenheit ja verraten gewesen!
„Glaubt mein weißer Bruder, daß ein toter Mann so weit zu schwimmen vermag?“
„Unter Umständen, ja. Der Fluß ist hier tief und reißend und hat glatte Ufer, so daß sich nicht leicht etwas ansetzen kann.“
Ohne weiter ein Wort zu sagen, erhob er sich und verschwand nach links hinauf zwischen den Bäumen. Ich wußte, was er tun wollte. Er ging jedenfalls im Schutz des Waldes so weit stromauf, bis er nicht mehr gesehen werden konnte, und begab sich dann in das Wasser, um an Ort und Stelle zu schwimmen und sich zu überzeugen, welcher Gegenstand den Comanchen aufgefallen war.
Obgleich er der vortrefflichste Schwimmer war, den ich kannte, mußte ich mir doch sagen, daß dieses Unternehmen kein ungefährliches sei. Erstens konnte der Capitano mit Conchez aufbrechen und, von derselben Wißbegierde getrieben, an den Fluß gehen; zweitens konnten, was als sehr wahrscheinlich anzunehmen war, die Comanchen Verdacht geschöpft haben und schließen, daß, wo eine frische Leiche mit einer Schußwunde vorhanden ist, auch jemand da sein muß, der diese Wunde verursacht hat. In diesem Fall war anzunehmen, daß ihre Entfernung nur eine scheinbare wäre, und sie zurückkommen würden, um sich Gewißheit zu holen. Wenn es während eines Feldzuges bestimmte Regel ist, keine Festung unerobert oder wenigstens zerniert hinter sich zu lassen, so ist es im ‚wilden Westen‘ ebenso gefährlich, nicht genau zu wissen, wen man im Rücken hat.
Die Strecke, welche Winnetou erst stromab und dann wieder aufwärts zu durchschwimmen hatte, mochte eine halbe Meile lang sein; er als guter Schwimmer konnte höchstens eine halbe Stunde brauchen, um diese Strecke zurückzulegen; zehn Minuten für den zu durchlaufenden Landweg dazugerechnet. Noch aber war er keine Viertelstunde fort, so brach der Capitano mit seinem Begleiter auf. Wir konnten sie nicht zurückhalten.
Was ich vermutet hatte, geschah: sie ritten bis zum Rastplatz der Comanchen und wandten sich dann nach dem Fluß. Jetzt galt es, Winnetou, welcher jedenfalls da, wo er in das Wasser gegangen war, seine Kleider und Waffen abgelegt und höchstens nur das Messer bei sich
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