030 - Bei den drei Eichen
Papier gewickelt, in seiner Tasche steckte.
Eine Stunde später saß Socrates im Arbeitszimmer des Ermordeten vor seinem kleinen, aber starken Mikroskop.
»Was untersuchst du da so eifrig?« forschte Lexington.
Als Antwort nahm sein Bruder das Präparat heraus und hielt es ihm hin: ein Haar oder so etwas Ähnliches zwischen zwei kleinen Glasscheiben.
»Ein Fusselchen!« Lexingtons Enttäuschung war deutlich zu hören. »Weiter nichts?«
»Weiter nichts. Ich habe es auf Steins Kopfkissen entdeckt.«
»Von einem Einbrecher zurückgelassen?«
»Von dem Mann zurückgelassen, der Stein so hübsch verschnürt hat. Lex, bist du dir klar darüber, daß dies einer der interessantesten Fälle ist, denen ich je gegenüber gestanden habe? Ich habe den Chef von Scotland Yard bereits telegrafisch gebeten, mir die Leitung der Untersuchung hier zu übertragen. Vermutlich wird aber im Lauf des Tages ein Bürschlein aus der neuen Schule anschwirren!«
Hierin sollte Soc jedoch nicht recht behalten; beinahe umgehend erhielt er die Ermächtigung aus London, den Fall weiter zu bearbeiten. »Merk dir übrigens« - sie aßen in einem Gasthaus in Hindhead zu Mittag, als Socrates das betreffende Telegramm ausgehändigt wurde -, »daß Stein von diesem Fusselchen, wie du es nennst, nichts weiß und auch nichts wissen soll, da er ihm dieselbe Bedeutung zuschreiben würde wie ich. Und das würde ihn vielleicht nervös machen.«
»Gehört er zu den Männern, die in der Gefahr ihre Nerven verlieren?«
»Das kann man nie vorher sagen«, wich sein Bruder aus.
Die Polizei hatte inzwischen den Ermordeten in die Leichenhalle von Haslemere geschafft, und die ganze Gegend wimmelte von Neugierigen, die geschäftig jede etwa vom Täter hinterlassene Spur vernichteten. Auch ein kleiner Schwarm von Reportern war angerückt, und um diesen zu entgehen, nahm Socrates das Mittagessen außer Haus ein.
Mit heimlichem Vergnügen beobachtete er seinen jüngeren Bruder, der zerstreut und trübsinnig die Bissen hinunterwürgte.
»Lex, dir wird niemals wieder ein derartig interessanter Fall unter die Nase kommen. Reizt er dich gar nicht?«
»Ich denke an etwas anderes.«
»Beruhige dich - sie ist höchstwahrscheinlich in Sicherheit, und wenn mich nicht alles täuscht, in London. Ich will dir auch etwas versprechen, etwas, was deinen Augen den Glanz und deinem Herzen die Hoffnung wiedergeben wird.«
Lexington blickte ihn beschwörend an.
»Mach dich nicht über mich lustig, Soc - dies rätselhafte Verschwinden bedrückt mich sehr. Was willst du mir denn versprechen?«
»Daß du Molly Templeton heute abend sehen kannst«, lautete die überraschende Antwort.
»Du weißt, wo sie ist?« stieß Lexington hervor. »Willst du sie etwa verhaften?«
»Es ist weder ein Verbrechen, dem Stiefvater davonzulaufen, noch ist es strafbar, den Schuh im Morast zu verlieren. Soviel ich weiß, hat bisher niemand Miss Templeton der Ermordung ihres Stiefvaters beschuldigt. Und wenn es jemand gewagt haben sollte ...«
»So hätte ich ihm seinen verfluchten Hals umgedreht!« unterbrach ihn Lexington wild.
»Soweit wäre ich ja nun nicht gegangen.« Socrates schüttelte sich innerlich vor Lachen. »Dagegen würde mich so ein Verdacht außerordentlich amüsiert haben.«
»Soc, du bist ein wahrer Teufel! Zum erstenmal bin ich dabei, wie du einen derartigen Fall untersuchst, und er scheint dir großen Spaß zu machen.«
»Weil ich noch ein junges Herz habe, mein Lieber! Anscheinend bin ich der jüngere von uns beiden, und wenn ich ans Heiraten dächte . . . Das Mädel besitzt Charakter, ist ungewöhnlich reizend - das hübscheste Gesicht, das ich seit Jahren sah.«
Lexington schoß das Blut in die Wangen.
»Mach dich nicht lächerlich!« Sein Ton war ein wenig steif. »Ich kenne Miss Templeton erst vierundzwanzig Stunden. Gewiß ist sie eine charmante junge Dame . . .«
»Ich weiß, ich weiß«, wehrte sein Bruder ab. »Aber wenn ihre Schönheit und ihr Charme bei einem älteren Herrn wie mir einen solchen Eindruck hinterlassen haben, wie muß da erst die Wirkung auf einen Fünfundzwanzigjährigen sein!« Seine Hand legte sich liebevoll auf des anderen Schulter. »Nimm meinen Segen, Junge!«
Und Bob Stein, der sie draußen erwartete, wunderte sich, wie man an einem so freudlosen Tag so herzlich lachen konnte.
»Ich war bei den Drei Eichen«, berichtete er, als die Brüder das Gasthaus verließen, »und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß sie Mandle ebenso wie mich
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