030 - Bei den drei Eichen
geknebelt und gefesselt haben und ihn dann aus seinem Haus forttrugen.«
»Aber warum legten sie ihn auf den Ast?« fragte Socrates.
Stein zuckte die Achseln.
»Ich habe alle mir bekannten Verbrecher, die eine Neigung zum Absonderlichen haben, in meinem Geist Revue passieren lassen, kann aber keinen Anhaltspunkt finden.«
»Glauben Sie, daß er erschossen wurde, bevor man ihn auf den Ast gehoben hat?«
»Zweifellos«, entgegnete Stein, ohne zu zögern.
»Dann gehen unsere Meinungen auseinander.«
»Oh . . .« Mehr vermochte Stein nicht herauszubringen.
»Die Kugel, die Mandle getötet hat«, begann Socrates seine Erklärung, »wurde von unten nach oben abgefeuert. Wenn Sie auf den Baum kletterten, würden Sie bemerken, daß das Geschoß verschiedene kleine Zweige weggerissen hat.«
Lexington war über diese Feststellung nicht minder betroffen als Stein, und minutenlang fiel kein Wort.
»Nebenbei bemerkt, Bob«, sagte Soc, als sie die Straße entlangschritten, »hat der Chef mir den Fall übertragen.«
»Sieh da! Gewöhnlich ziehen sie keinen Outsider heran.«
»Ein Outsider bin ich ja auch nicht!« kam es ärgerlich zurück.
Aber Bob Stein schien sich der Taktlosigkeit, die er begangen hatte, nicht bewußt zu werden. Von dem Mord kam er jetzt auf Molly Templeton zu sprechen.
»Wenn Sie doch nur nicht gerade m diesem Moment fortgelaufen wäre! Irgendein Verdacht wird sich sicher gegen sie richten, und sobald die verflixten Reporter Wind bekommen, gibt es Artikel über Artikel! Ich sehe schon in den Zeitungen die fetten Überschriften: ›Die Tochter des Ermordeten spurlos verschwundem‹.« Und sprunghaft das Thema wechselnd, berichtete Stein mit einem Lächeln: »Ich habe Jetheroe gesprochen.«
»Aus Ihrer Heiterkeit entnehme ich, daß Sie nicht sehr gnädig aufgenommen worden sind.«
»Stimmt! Inspektor Mallet muß ihn mit seiner Ausfragerei sehr belästigt haben. Natürlich war Miss Templeton vergangene Nacht bei ihm, aber er wollte es nicht eingestehen. Ein sonderbarer Heiliger! Ich wollte, ich hätte ihn schon früher gekannt.«
»Haben Sie ihn denn vorher niemals gesprochen?«
»Nein«, erwiderte Stein kopfschüttelnd, »er ist mir vollkommen fremd. Dennoch ist da irgendein Zug um seine Augen, der mich an jemand erinnert; ich vergesse niemals die Augen eines Menschen. Aber sosehr ich auch nachdenke und mir den Kopf zerbreche, ich komme auf keine Spur.«
Am Kreuzweg angelangt, verabschiedete Stein sich.
»Ich glaube, daß das junge Mädchen ihn mehr beschäftigt als das traurige Ende seines Freundes John«, meinte Socrates, als er mit Lexington dem Haus des Ermordeten zuschritt. Verblüfft sah er, daß sich die Augenbrauen seines Bruders finster zusammenzogen.
»Es ist unerhört«, brach Lex los, »daß ein solcher Mann sich einbildet, eine Dame wie Miss Templeton heiraten zu können!«
»Unter uns kannst du sie ruhig Molly nennen«, beschwichtigte ihn Socrates.
»Begreifst du denn nicht diese Geschmacklosigkeit, Soc? So ein alter Mann . . .«
»Zum Heiraten ist niemand zu alt! Und vielleicht darf ich dir die unglückselige Tatsache ins Gedächtnis rufen, daß ich zwei Jahre älter bin als Stein!«
»Ja, du! Das ist doch etwas ganz anderes! Du bleibst immer jung, Soc. Dagegen dieser Bursche! Findest du seine Idee nicht auch ungeheuerlich?«
Sein Bruder lachte in sich hinein.
»Nicht so sehr wie du. im übrigen scheint ihr an dieser Heirat nichts zu liegen, wie?«
»Woher soll ich das wissen?« versuchte Lex auszuweichen. Als Socrates aber schwieg, machte er das Eingeständnis: »Nun ja, wir haben uns über dies und das unterhalten ... Und dabei deutete sie auch an, daß sie von Steins Plänen nichts hält.«
»Lex«, sagte Soc ernsthaft, während sie die Stufen zum Haus emporstiegen, »verscheuche die Idee aus deinem Kopf, daß Bobs Werbung für Molly eine sträfliche Beleidigung bedeutet! Und wenn du je ernsthaft daran denkst, meinen Beruf zu ergreifen, so gewöhne dir an, dich von Vorurteilen freizuhalten.«
Im Haus fanden sie ein halbes Dutzend neuigkeitshungriger Reporter, denen Socrates die wesentlichsten Tatsachen berichtete - gewisse bedeutsame Details überging er allerdings. Aber das ist eine Gewohnheit, in die jeder Kriminalist leicht verfällt.
»Warum hast du ihnen nichts über Jetheroe mitgeteilt?« fragte Lex, nachdem sich die Journalisten, nur halb zufriedengestellt, entfernt hatten.
»Das wäre nicht klug gewesen. Jetheroe ist für mich ein Fall, den ich allein
Weitere Kostenlose Bücher