030 - Bei den drei Eichen
seiner Nachbarschaft zu bleiben. Du mußt dich für diese beschränkte Zeit dareinfügen, Lex. Sobald wir nach London zurückgekehrt sind, sehe ich keinen Hinderungsgrund für eure baldige Trauung.«
»Weiß Molly von unserem morgigen Umzug?«
Socrates bejahte.
»Komisch, daß sie nichts darüber gesagt hat!«
»Wahrscheinlich legt sie der Sache weniger Bedeutung bei als du«, vermutete Socrates. »Sei vernünftig, Lex. Wir machen einen ganz annehmbaren Tausch, denn der ›Prinzenhof‹ ist ein herrlicher Besitz und bekannt wegen seiner Gärten.«
Als Lexington später auf dem Weg zu seinem Schlafzimmer an Mollys Tür vorbeikam, schob er einen dicken Brief darunter.
Eigentlich gab es keinen Grund, dem jungen Mädchen auf vielen Seiten seine Liebe zu beteuern, die in der kurzen Spanne Zeit kaum hätte erkalten können. Aber in der Zeitrechnung Liebender zählen Minuten des Getrenntseins wie Jahre . . .
Die junge Dame, die gerade Aufzeichnungen in ihr Tagebuch machte, unterbrach diese Tätigkeit, hob den Brief auf und las ihn hingerissen, um ihn schließlich unter ihrem Kopfkissen zu verwahren. Sodann fügte sie dem Bericht über die großen Ereignisse des Tages noch einen enggeschriebenen Passus hinzu.
Molly ging zu Bett, aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Zwischen Wachen und Träumen hörte sie die Kirchturmuhr eins schlagen. Dann riß sie jählings die Augen auf ... fuhr herum ... sah eine dunkle Gestalt am Schreibtisch stehen und einen gelben Lichtschein über seine Platte gleiten.
»Wer ist da?« rief sie erschrocken.
»Keinen Laut, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«
Eine hohe Fistelstimme, und in dem Lichtschein der Schimmer von blauem Stahl!
Trotzdem wagte sie zu flüstern: »Was wollen Sie?« Aber der Eindringling würdigte sie keiner Antwort.
Molly konnte sein Gesicht nicht sehen, da die untere Hälfte durch ein blauseidenes Taschentuch und die obere durch eine tief in die Stirn gezogene Mütze verhüllt wurde.
Ein gedämpftes Aha verriet, daß der Fremde gefunden hatte, wonach er suchte. Er schob mit der linken Hand etwas in seine Tasche, während die rechte die Pistole vom Schreibtisch wieder aufnahm. Plötzlich verlöschte seine Lampe . . . und Molly hörte, wie der Eindringling sich zur Tür zurücktastete.
»Ich werde draußen zehn Minuten stehenbleiben. Wenn Sie schreien ...«
Er sprach den Satz nicht zu Ende, aber die Drohung prägte sich auch so ein.
Leise fiel hinter ihm die Tür ins Schloß.
Wie war er nur hereingekommen? Molly erinnerte sich bestimmt, daß sie abgeschlossen hatte ... Knarrten da nicht die Treppenstufen ...? Minuten, die endlos schienen, lauschte sie. Schließlich konnte sie diese unheimliche Spannung nicht mehr ertragen, sie sprang aus dem Bett, griff nach ihrem Morgenmantel und hetzte über den Korridor zum gegenüberliegenden Schlafzimmer von Smith senior.
»Wer ist da?« antwortete unmittelbar auf ihr Klopfen seine Stimme.
»Molly.«
Im Nu brannte drinnen das Licht, im Nu stand Socrates im Hausrock in der offenen Tür.
»Was ist passiert?«
Unter Schluchzen berichtete sie.
Soc nahm hastig seine Pistole vom Nachttisch und jagte die Treppe hinunter. Als er ein paar Minuten später zurückkehrte, erfuhr sie, daß die Haustür offengestanden habe, aber niemand mehr zu sehen gewesen sei.
»Nun will ich einen Blick in Ihr Zimmer werfen«, sagte er und beleuchtete mit seiner Taschenlampe die Außenseite ihrer Tür.
Das Ende des Schlüssels ragte hervor.
»Da haben wir's ja, wie der Kerl hineinkam! Diese altmodischen Schlüssel lassen sich ganz leicht von außen herumdrehen, wenn man eine genügend starke Kneifzange anwendet! Fehlt etwas?«
»Ich habe noch nicht nachgesehen«, erwiderte Molly und ging zum Schreibtisch. Dann wurde sie abwechselnd blaß und rot.
»O Gott! Mein Tagebuch ist fort . . .«
15
»Dieses Dorfwirtshaus ist alles andere als eine sichere Festung - es gibt hier wenigstens sechs Stellen, wo man bequem einsteigen kann«, berichtete Socrates am nächsten Morgen beim Frühstück. »Insofern bin ich heilfroh, daß wir heute in den ›Prinzenhof‹ übersiedeln.«
»Warum hast du mich diese Nacht denn nicht gerufen?« fragte sein Bruder in vorwurfsvollem Ton.
»Es ist mir gelungen, Miss Templeton auch ohne deinen Beistand zu beruhigen. Und ich wußte wirklich nicht, welch anderen Dienst du hättest leisten können, nicht wahr, Molly?«
Miss Templeton blickte stumm auf ihren Teller.
»Wozu braucht der Schurke dein Tagebuch?« rief
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