030 - Bei den drei Eichen
obwohl wir den Pfad mit größter Sorgfalt abgesucht haben, falls die Kugel ihn nur betäubt und er danach das Bewußtsein wieder erlangt hat, kann er sich sehr wohl allein nach Haus geschleppt haben.«
»Sehr schwer, das zu beurteilen«, versetzte Socrates. »In mancher Hinsicht ist Jetheroes Verschwinden viel mysteriöser als Mandles Ermordung oder die Feuersbrunst oder der merkwürdige Einbruch bei Molly!«
Sie hatten den Drei-Eichen-Pfad eingeschlagen, und wie verabredet hemmten sie ihre Schritte unter dem fatalen Ast.
»Haben Sie jemals versucht, das Verbrechen zu rekonstruieren?« fragte Stein.
»Nicht mehr seit der ersten Nacht. Ich weiß natürlich, daß Mandle selbst auf den Baum geklettert ist.«
»Was. . .? Mit seinen rheumatischen Knien?«
»Über seine Knie weiß ich nichts Sicheres, erwiderte Smith ruhig. »Als ich auf den Baum stieg, besah ich mir zuerst seine Schuhe. Es waren schwere genagelte Stiefel, und zwischen den Nägeln der Sohle hafteten winzige Stückchen Borke, die ich durch eine mikroskopische Untersuchung einwandfrei als Eichenrinde identifizieren konnte.«
»Und wie kam das Seil um seinen Körper?«
»Mit gleicher Berechtigung können Sie mich fragen, wie Jetheroe in den Besitz von John Mandles Revolver gelangt ist!«
Steins Augen hefteten sich in maßlosem Erstaunen auf Smiths Gesicht.
»Mandles Revolver?«
»Gewiß. Sie erinnern sich doch, daß Jetheroes Revolver neben dem Pfad gefunden wurde, und zwar mit gespanntem Hahn, was deutlich das Mißtrauen und den Argwohn beweist, mit dem Jetheroe zu diesem Rendezvous ging. Nach Timms' Aussage hat dieser gleiche Revolver früher in Mandles Arbeitszimmer gelegen, und überdies gelang es uns, den Waffenhändler aufzuspüren, der ihn an Mandle verkauft hat. Meine Theorie geht nun dahin, daß Jetheroe in der Mordnacht den Revolver gefunden hat - vielleicht war er aus Mandles Tasche gefallen. Wie Gritt uns berichtete, blieb Jetheroe an seiner Haustür stehen, um zweimal einen Revolver, den er aus seiner Tasche gezogen hatte, zu betrachten. Zweimal!«
»Hm, hm . . .!« versetzte Stein nachdenklich. »Vielleicht hat er ihn zweimal betrachtet, weil er ihm neu war, weil er erst ganz kürzlich in seinen Besitz geraten ist.«
»Sehr richtig! Übrigens habe ich auch entdeckt, wie der Mann, der so verrückt lachte, entkommen ist. Bei Tageslicht ist der schmale Pfad ganz leicht zu sehen - er führt zurück zum Weg. Wenn ich nicht wie ein Wilder hinter ihm her durchs Gebüsch gejagt wäre, sondern meinen Bruder wegaufwärts geschickt hätte, so würde er den Kerl beim Heraustreten aus dem Gehölz gesehen haben!«
»Eine verdammt komplizierte Affäre!« seufzte Stein.
Langsam weiterschlendernd waren sie zu dem weit geöffneten Tor der Weißen Villa gekommen, als Socrates seinen Begleiter auf eine stämmige Frau aufmerksam machte, die ihnen zuwinkte.
»Das scheint Jetheroes Haushälterin zu sein«, meinte er und wartete, bis die atemlose Frau sie erreicht hatte.
»Ich habe die Herren vom Fenster aus kommen sehen«, keuchte sie.
»Und? Was gibt's? Ist Mr. Jetheroe gefunden worden?«
»Nein, Sir. Aber beim Aufräumen habe ich ein paar sonderbare Dinge entdeckt, die ich Ihnen zeigen möchte. Sie sind doch der Herr von der Kriminalpolizei?«
Socrates nickte und folgte der umfangreichen Dame ins Haus, wo sie mit einer dramatischen Geste die Tür zum Badezimmer öffnete.
»Da!« Sie wies mit dem Zeigefinger auf zwei Taschentücher, die auf einem Stuhl lagen. Allerdings waren sie schwer als solche zu erkennen, da sie steif und zusammengeklebt waren.
»Wo haben Sie sie gefunden?«
»Unter der Wanne. Und ich weiß bestimmt, daß sie vorgestern dort nicht gelegen haben, weil ich da persönlich die Reinigung des Badezimmers beaufsichtigt hatte.«
»Blutflecke«, sagte Socrates und überreichte Stein eines der dunkelbraun gefärbten Tücher.
»Und das ist noch nicht alles«, berichtete die Frau triumphierend. »Ich habe mir alles durch den Kopf gehen lassen, und dabei fiel mir Mr. Jetheroes Arzneischränkchen ein, das hier im Badezimmer hängt.«
Sie öffnete die Türen eines weiß lackierten Wandschränkchens, und eine Reihe von Flaschen sowie ein Durcheinander von Binden und Bandagen wurde sichtbar.
»Jemand ist an dem Schränkchen gewesen. Und« - sie wies auf einen blutigen Fingerabdruck - »was sagen Sie hierzu?«
Socrates nahm das Bandageknäuel vorsichtig heraus und fand hinter ihm ein offenes Fläschchen Jod stehen, das offensichtlich
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