030 - Die mordende Anakonda
gediehen. Dickicht
wuchs bis in den ungepflegten, holprigen Hof hinein.
Eine dichte Baumreihe, die vor einem Jahrhundert genau im Halbkreis hinter
dem Haus angepflanzt worden war, wirkte wie eine Mauer, die das Haus auch von
dieser Seite schützte und dem ganzen einen etwas verspielten und eigenartigen
Eindruck verlieh.
Das Anwesen war verwildert, aber es wirkte weder abstoßend noch
abschreckend auf die junge Irin.
Am Haus selbst schien von Zeit zu Zeit Hand angelegt worden zu sein. Die
Fenster hingen nicht windschief in den Angeln, und auch die Türen machten noch
einen massiven Eindruck.
Sioban betrat den Innenhof.
» Mister Beam ?« Sie sah sich um
und rief den Namen des Mannes dreimal. Im Stillen musste sie sich eingestehen,
dass sich nun doch eine gewisse Unruhe und Unbehaglichkeit in ihr breitmachte.
Das dumme Geschwätz der Dorfbewohner! So leicht konnte man sich umstimmen
lassen ...
Ihre Studienfreundin hatte diesen stillen, einsamen Fleck gelobt. Hier fand
man Ruhe zur Arbeit, hier war man weit weg von der nächsten Siedlung. Nicht mal
Touristen verirrten sich hierher.
Eine Straße gab es nicht, so dass praktisch das tägliche Motorengeräusch,
das man schon gar nicht mehr bewusst aufnahm, auch noch wegfiel.
Sioban näherte sich der Tür. Es gab kein Namensschild.
Ihr war es, als wäre da ein Geräusch im Haus. Stufen knarrten. Dann bewegte
sich die Türklinke. Die Tür wurde aufgezogen – und vor Sioban McCorkan stand
ein bärtiger, junger Mann. Er trug dichte dunkelblonde Koteletten und einen
Existentialistenbart, den er unter der Unterlippe bloß rasiert hatte.
»Mister Beam?«, fragte Sioban. Sie hob die Augenlider.
Ihr Gegenüber lächelte sympathisch. »Sehe ich denn schon so alt aus? Dann
muss ich auf dem schnellsten Weg dafür sorgen, dass der Bart wieder
verschwindet. – Mein Name ist Henrik van Heyken. Ich bin vierundzwanzig Jahre
alt und kein Opa, um dies gleich festzustellen ...«
Sioban begriff die Situation sofort. »Sie wohnen hier auf Anweisung von
Mister Beam?«
»Richtig, Miss. Ich mache mir die Menschenfreundlichkeit des alten Beam
zunutze und lebe in der Villa Studentikus .
So heißt die Bude hier. Man fühlt sich allerdings sehr wohl. Es ist nur ein
bisschen einsam. Aber das kommt der Arbeit zugute. Ich habe seit meiner Ankunft
hier vor vier Wochen schon dreißig Bilder gemalt. Täglich eins! Das ist eine
Leistung!«
»Sie sind Maler?«
»Ich studiere noch. Ich will erst einer werden. Als ich ankam, hatte ich
gerade einen vierwöchigen Parisaufenthalt hinter mir. Dann ging mir das Geld
aus. Ich kratzte die letzten Pfennige für die Überfahrt zusammen und landete in
Nordirland. Das Land wollte ich schon immer kennenlernen. Hier hat der Himmel
eine so eigenwillige Färbung; die Wiesen und Wälder und vor allen Dingen die
zahlreichen Seen bieten einem Landschaftsmaler immer wieder neue Motive. Ein
Freund in Dublin machte mich auf Beam aufmerksam. Mein Freund dort ist mal
selbst hier in der Villa zu Gast
gewesen. Sie sieht übrigens innen komfortabler und wohnlicher aus, als es von
außen den Eindruck erweckt. – Ich war also völlig abgebrannt. Mit der Fähre kam
ich an und marschierte geradewegs hierher.«
»Haben Sie Bewohner angesprochen, um sich nach dem Weg zu erkundigen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war nicht notwendig. Mein Freund hat mir
den Weg so genau beschrieben, dass es praktisch unmöglich war, ihn zu
verfehlen.«
»Wie ist Mister Beam?«
»Ein prima Kerl ...« Der junge Maler bückte sich und nahm den Koffer der
jungen Irin entgegen. »Ich bin Ausländer, gebürtiger Holländer. Das hat ihn
nicht gestört. Seine Villa stünde
jedem offen, der Lust und Laune verspüre, in der Einsamkeit eine kurze Zeit zu
verbringen. Seit vier Wochen, wie gesagt, lebe ich hier. Einsamkeit ist etwas
Schönes. Aber jetzt, wo Sie da sind, wird es wahrscheinlich noch schöner.
Sicher wollen Sie auch eine bestimmte Zeit hier bleiben, nicht wahr?«
»Aber auch ich dachte an Einsamkeit ...«, murmelte Sioban scheu. Die Nähe
des gutaussehenden jungen Mannes und die Sicherheit seines Auftretens
irritierten sie ein wenig, und es beschäftigte sie, dass sie mit einem Fremden
dieses einsame Haus teilen sollte.
»Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben«, klang es an ihre Ohren, und
sie zuckte zusammen. Es war, als ob Henrik van Heyken Gedanken lesen könne.
»Wir werden uns gegenseitig nicht stören. Raum ist in der kleinsten Hütte, sagt
man doch. Und diese Villa
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