030 - Die mordende Anakonda
schwieriger. Denn man musste mitten durch den Wald
gehen. Einen Weg, der hierher führte, gab es nicht mehr. Wildes Buschwerk und
Unkraut hatte einen ehemaligen Pfad derart überwachsen, dass er nicht mehr zu
finden war.
Die Anakonda verschwand im kniehohen Gras und wurde scheinbar eins mit den
vorherrschenden Grau-, Braun- und Grüntönen.
Ein mordendes Ungeheuer befand sich in Freiheit.
●
Mrs. Queshon hielt nicht viel von Wettervorhersagen. Sie verließ sich auf
ihren Instinkt und ihre Erfahrung. Selten hatte sie sich getäuscht. Und auch
heute schien ihr dieses angeborene Feingefühl wieder recht zu geben.
Strahlend blauer Himmel um die Mittagszeit. Dabei hatte es am Morgen noch
leicht geregnet, aber sie war überzeugt davon, dass dies kein Marathonregen
werden würde.
»Pass' auf, Patrick«, hatte sie noch gestern zu ihrem Mann gesagt. »Wir
kriegen in diesem Jahr einen schöneren Sommer als im vergangenen. Und es wird
schwül werden. Ich spüre es.«
Von der Schwüle war bisher noch nichts zu bemerken, aber es war bedeutend
wärmer geworden, als dieser regnerische Vormittag erwarten ließ.
Margie Queshon nutzte dieses schöne Wetter. Sie hatte sich nur eine
Fleischsuppe gekocht, einen Teller voll gegessen und sich dann auf den Weg zum
Feld gemacht, das etwa einen Kilometer vom Hof entfernt lag. Das nasse Heu
musste gewendet werden. Wenn es die nächsten Tage warm und trocken blieb, dann
konnte man es bis zum Wochenende noch einfahren.
Ein tiefer Seufzer hob und senkte die Brust der abgearbeiteten Frau. Sie
nahm den Holzrechen aus dem Schuppen und ging den Weg zu Fuß zu dem abgelegenen
Feld. Sie ärgerte sich, dass Patrick nicht gekommen war. Offenbar war er durch
die Einkehr bei Joe Rings abermals versackt. Unter diesen Umständen war damit
zu rechnen, dass er erst spät in der Nacht nach Hause kommen würde.
Die Bäuerin ließ sich ihre Wut nicht anmerken. Sie hätte es bequemer haben
können, wäre das Rad, das seit zwei Tagen platt im Schuppen stand, repariert
worden. Patrick kümmerte sich jedoch praktisch überhaupt um nichts mehr. Aber
alles konnte man doch nicht so einfach liegen lassen. Wie würde es denn werden,
wenn sie sich auf die faule Haut legte und die Dinge treiben ließ?
Wo würden sie das Futter für die Tiere im Winter hernehmen?
Etwas musste geschehen. Aber selbst das Wenige war Patrick schon zu viel
...
Margie Queshon lief langsam. Ihre rotblonden Haare hatte sie mit einem
schmutziggrauen Tuch zusammengebunden. Der Weg, den sie ging, führte einmal
hügelan, dann wieder bergab. Die Äcker des Nachbarhofes breiteten sich vor ihr
aus. Hier wurde gearbeitet.
Die Fhool-Familie, die ihren Hof etwa anderthalb Kilometer vom Anwesen der
Queshons entfernt stehen hatte, war vollzählig vertreten. Niemand grüßte sie
oder rief ihr ein freundliches Wort zu. Man ignorierte sie. Das war kein
Wunder. Der Ruf der Queshons hatte gelitten, und auch Margie war nicht ganz
unbeteiligt daran. Die ewigen Nörgeleien und Patricks Sauftouren hatten sie so
weit gebracht, dass auch sie gelegentlich zur Flasche gegriffen hatte, um die
Sorgen und die Not zu vergessen.
Patrick begriff dagegen schon gar nichts mehr, während sie wenigstens noch
so viel Überblick über die wirtschaftliche Situation hatte, um zu erkennen,
dass sie spätestens in einem Jahr den Hof verkaufen mussten. Aber was dann?
Mit diesen Gedanken brachte sie den weiten Weg zu Fuß hinter sich, den
Rechen wie ein Mann auf der Schulter tragend.
Sie durchquerte ein Wäldchen und dahinter, abgelegen und brachliegend, die
drei kleinen Felder, die ihnen noch gehörten. Auf der Wiese grasten die Kühe.
Einige waren zu faul zum Stehen und hatten sich hingelegt. In der Nähe der
Herde befand sich ein kleiner See, der ihnen als Tränke diente.
Die Gatter zur Weide waren windschief, morsch und vom Zahn der Zeit
beträchtlich angenagt. Auch hier hätte unbedingt etwas geschehen müssen.
Margie Queshons Blick schweifte nach links ab. Dort, auf dem nach unten
führenden Hügel, standen die beiden alten Gäule, die zu nichts mehr nütze
waren, die Patrick aber dennoch durchfütterte. Er hatte ein weiches Herz und
brachte es nicht fertig, die Tiere dem Schlachter zu verkaufen. Aber über kurz
oder lang würde er sich wohl doch von den Pferden trennen müssen. Das Bargeld
im Haus reichte noch für zwei Monate, wenn sie sparsam wirtschafteten, und die
Vorräte im Keller waren fast aufgebraucht, und in diesem Jahr kam nicht viel
Neues dazu.
Weitere Kostenlose Bücher