030 - Die Teufelshexe
Frau.
»Bleib...!«; keifte die Alte. »Steh still... Du hast mein entstelltes Gesicht gesehen. Du mußt sterben, sonst kannst du alle Leute auf meine Spur bringen... Bleib stehen...«
Aber Gundel lief, so schnell die Beine sie tragen konnten. Sie wußte, daß sie nicht stolpern durfte, sonst war sie verloren. Sie lief um ihr Leben in die graue Nebelwand hinein, und sie vertraute ihrem Glück...
Ihre Verfolgerin war dicht hinter ihr...
Plötzlich verlor Gundel den Boden unter ihren Füßen. Sie fiel in die Tiefe, das Entsetzen saß ihr im Genick wie ein Tier. Doch wie eine Katze rollte sie sich zusammen, instinktiv und blitzschnell, ohne nachzudenken.
Sie schlug hart auf und verlor das Bewußtsein.
***
Kommissar Jan Ecktal hatte ein rotes Gesicht, rote Haare und bevorzugte in seiner Kleidung auch Rot in allen Schattierungen.
Im Präsidium munkelte man, daß das Blut von Toten ihn magnetisch anziehen würde, weil es rot war.
Er hatte, als er von Kriminalrat Baltram den Auftrag bekam, die brutalen, unverständlichen Morde aufzuklären, zuerst sämtliche Irrenhäuser aus der Umgebung besucht.
Doch kein gemeingefährlicher Täter war dort ausgebrochen.
Nun kämmten seine Leute sämtliche Hotels der Stadt durch.
Leider waren die Aussagen der Zeugen, wie so oft in Ecktals Praxis, völlig unbrauchbar. Der Hotelangestellte schilderte die Mörderin von Vanstraaten als elegante Lady im lilafarbigen Kostüm.
Lothar Griesewald, der Sohn der auf dem Friedhof ermordeten Liesa Griesewald, hatte den Mörder nicht gesehen, doch eine tiefverschleierte Frau in Schwarz hatte ihn angesprochen und sich mitfühlend nach seiner Mutter erkundigt.
Elsa Robeli und Juliette Godolew schließlich schworen tausend Eide, daß ein Mann in die Wohnung am Flachsbohnenweg 4 eindringen wollte. Aber kein Mann, sondern eine Frau im Maximantel war aus dem Mietshaus gekommen.
Jetzt standen Kitty Dobson und Martha Flanders vor ihm.
»Ja, Kommissar, wir haben mit der Frau gesprochen. Sie fragte uns nach dem Weg zum Bahnhof.«
»Irgend etwas Auffälliges an der Frau bemerkt?«
»Ihre Stimme klang wie ein Reibeisen«, sagte Kitty. »Außerdem war sie geschmacklos angezogen.«
»Geschmacklos? Inwiefern?«
»Sie trug einen sportlichen Maximantel und hohe Stiefel, dazu aber einen breitrandigen Hut mit Schleier. Verrückt!«
»Wieso bitte, soll das verrückt sein? Ich denke, Schleier sind neuerdings modern?«
Kitty und Martha blickten Kommissar Ecktal mitleidig an.
War er wirklich so weltfremd?
»Aber doch nicht zum Maximantel, höchstens zu Midi«, sagte Martha kopfschüttelnd.
Für sie gehörten die neuesten Modeberichte zur Allgemeinbildung.
»Aha!« nickte Ecktal. »Und mehr können Sie mir nicht berichten?«
»Doch. Wir konnten ihr Gesicht nicht erkennen.«
»Da gibt es eine Übereinstimmung«, murmelte Ecktal, »auch der Griesewald-Sohn -und das Hotelpersonal haben von einer tief verschleierten Frau gesprochen, deren Gesicht sie nicht erkennen konnten.«
Er dachte nach und fuhr sich mit der Hand durch sein feuerrotes Haar.
»Konnten Sie die Hände der Frau sehen?«
»Nein«, erwiderte Kitty lakonisch. »Lange Lederhandschuhe. Wir sahen eigentlich nur Kleidungsstücke, keinen Zentimeter Haut.«
»Tatsächlich«, entfuhr es Martha. »Du hast recht, Kitty. Die Frau war eingemummt wie im tiefsten Winter.«
»Sonst noch irgendwelche Beobachtungen gemacht, meine Damen?«
»Ihr rechter Absatz war schiefgetreten.«
Die Unterhaltung fand im Amtszimmer von Kommissar Ecktal statt. Er trug eine knallrote Krawatte, eine weiß-rot gestreifte Weste und ein Ziertaschentuch im grauen Anzug — in roter Farbe.
Die Bürotür flog auf.
»Ecktal!« hörte man die wütende Stimme von Kriminalrat Baltram. »Zum Teufel, ein neuer Mordfall! Sollten wir vielleicht warten, bis die halbe Stadtbevölkerung zerhackt und zerstückelt wird?«
Ecktal starrte Kitty und Martha an und erhob sich wie in Trance.
»Kitty, die Theorie von Juliette Godolew nimmt an Wahrscheinlichkeit zu«, flüsterte Martha.
»Wir begleiten Sie natürlich, Kommissar«, wandte sich Martha an Ecktal.
»Nein, verdammt noch mal!« tobte der Kriminalrat, als er die beiden Mädchen hinter Ecktal erkannten, ,,’raus!«
»Aber...«
»’raus! Seid ihr schwerhörig? Nur weil zwei neunmalkluge Girls wie ihr hier mitmischen wollt, haben wir keine Erfolge, ’raus, sonst vergesse ich mich.«
Die Mädchen liefen hinaus. Die Tür flog hinter Kitty und Martha ins Schloß.
Die Mädchen
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