030 - Die Teufelshexe
Industriegegend blieb sie stehen. Ein paar Neugierige standen noch um die Stelle in der Klingenbergstraße herum, wo man Stanek gefunden hatte.
Auch die Mörderin blieb stehen.
Alles redete durcheinander.
»Lest ihr nicht die Zeitungen?« fragte gerade ein junger Mann. »Das ist jetzt der fünfte Fall dieser Art in unserer Stadt. Die Polizei ist völlig unfähig, scheint mir, diesen Massenmörder zu finden. Ich jedenfalls lasse meine Frau nicht mehr bei Dunkelheit auf die Straße. Und mir selbst ist auch erst wohl, wenn alle Türen und Fenster meiner Wohnung verriegelt sind.«
»Natürlich ist es die Tat eines gemeingefährlichen Irren!« überlegte eine Frau laut. »Oder sind es vielleicht mehrere Verrückte, die hier Todesurteile vollstrecken?«
Gar nicht so dumm, dachte die Mörderin. Unbemerkt entfernte sie sich.
Hier etwa bin ich der Kleinen nachgelaufen — immer weiter... Es war zwar sehr viel Nebel, aber ich kann mich genau an die Richtung erinnern, in die ich dem Kind nachlief.
Jetzt befand sie sich bereits auf werkseigenem Gelände. Ein großer Parkplatz war hier, dahinter eine Baustelle. Ein Zaun war niedergerissen. Hier wurde offenbar ein großer Silo gebaut.
Die Mörderin ging langsamer.
Plötzlich war das Kind vor ihr verschwunden gewesen.
Wenn es nun da hinuntergefallen war?
Am Rand des Kraters blieb die Mörderin stehen. Sie hob den Schleier an, um besser sehen zu können. Unter dem Schleier trug sie die Gummimaske.
Nein, wer da hinunterfiel, lebte nicht mehr, dachte die Mörderin. Sie drehte sich um.
Warum aber stand nichts davon in der Zeitung?
Man hat die Leiche der Kleinen bestimmt erst heute morgen gefunden, dachte die grausame Frau. Heute abend wird es in allen Zeitungen stehen.
***
Das Haus, das Professor Veit Bernhardi mit seiner Tochter Diana bewohnte, lag außerhalb in einer einsamen Gegend in einem wild wuchernden, ungepflegten Garten.
Es war ein zweistöckiges Gebäude, vor das ein Rundbau angebaut war. Jedes Fenster im ersten Stock hatte Steinverzierungen und kleine Säulen, und über dem Eingang in der Mitte des Rundbaus schwebte in Stein gehauen eine überlebensgroße, äußerst üppige Frauengestalt.
Ebenso altmodisch und geradezu kitschig war die Inneneinrichtung des Hauses.
Diana hatte sich anfangs große Mühe gegeben, in diesem Sammelsurium alter Möbel und Plüschsofas Ordnung zu halten, doch dann hatte sie resigniert.
Veit Bernhardi war ein kleiner, gebückt gehender Mann Anfang Siebzig. Er ging am Stock, trug einen Spitzbart und hatte kluge graue Augen. An Expeditionen und Reisen konnte er längst nicht mehr teilnehmen, studierte aber voller Interesse die Schriften über Mineralogie, die er abonniert hatte.
Diana, seine Tochter, lebte nach einer mißglückten Ehe wieder bei ihm. Sie war Malerin, und ihre Bilder wurden sogar gut verkauft.
Als es an diesem Nachmittag bei ihnen an der Tür klingelte, ging der Professor öffnen.
Er hatte keine Ahnung, wer heute zu Besuch kam. Es war niemand angemeldet. Und er haßte plötzliche Gäste aus tiefster Seele.
Doch als er die beiden jungen Damen, die vor ihm standen, in Augenschein nahm, glättete sich sein Gesicht.
»Kriminalpolizei«, sagte Kitty knapp und ließ den Professor ihre Polizeimarke sehen. »Dürfen wir Sie sprechen, Herr Professor?«
»Was habe ich mit der Polizei zu tun?«
»Lesen Sie keine Zeitungen, Herr Professor?« mischte sich Martha ein.
Diana trat näher. »Was gibt es, Papa?«
»Die Polizei besucht uns in Gestalt dieser jungen, entzückenden Damen«, kicherte der Professor. »Treten Sie ein, meine Damen. Wir lesen selten Tageszeitungen. Unser Radio ist schon seit Wochen gestört, und einen Fernsehapparat haben wir nicht. Und wenn wir Musik hören wollen, spielen wir selbst Klavier.«
»Kurz, unser Leben paßt haargenau in dieses altmodische Haus«, schloß Diana ironisch.
Kitty und Martha wurden auf einen Alptraum von Kanapee dirigiert.
»Also?« fragte der Professor und rückte an seiner randlosen Brille. »Wo brennt es? Habe ich vielleicht Steuern hinterzogen?«
»Professor Bernhardi, wir haben Grund zu der Annahme, daß Ihr Leben bedroht ist.«
»Wieso?« Diana fuhr erschrocken zu ihnen herum. Sie trug lange Hosen und einen schmutzigen, ehemals weißen Kittel mit Farbflecken darauf.
»Gestern wurde Paul Stanek ermordet, vorgestern Johann Griesewalds Frau, vor drei Tagen Vanstraaten, vor vier Tagen Robeli und vor fünf Tagen Boris Godolew.«
Der Professor machte ein Gesicht, als
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