030 - Hexensabbat
in meinem Zimmer konnte ich keine Ruhe mehr finden und wanderte die halbe Nacht auf und ab. Mir wurde klar, daß hinter diesem Gedächtnisschwund mein Patenonkel steckten mußte. Er hatte mir ja gesagt, daß er Rupert die Erinnerung an die Erlebnisse am See nehmen wollte, aber ich hätte nicht gedacht, daß er seine Drohung wahrmachen würde. Immer wieder warf ich einen Blick auf Ruperts Haare, die in einer kleinen Schatulle auf dem Tisch lagen.
Ich kann ihn verzaubern , dachte ich. Ich kann ihn dazu bringen, daß er nur mich liebt.
Das wäre überhaupt kein Problem gewesen. Doch ich wollte, daß er mich um meiner selbst willen liebte und nicht durch einen Zauberspruch dazu gezwungen wurde. Lange rang ich um eine Entscheidung. Am Ende entschloß ich mich, ihn nicht richtig zu verhexen, sondern ihn nur dazu zu zwingen, sich morgen mit mir zu treffen.
Aus meinem Schrank holte ich ein Federmesser und ein faustgroßes Stück Wachs. Ich setzte mich und schnitzte daraus eine Figur mit Rupert Schwingers Gesichtszügen. Seine Haare preßte ich in den Kopf der Statue. Zufrieden betrachtete ich mein Werk und zündete eine dicke Kerze an, die ich hinter die Statue stellte. Mit weißer Kreide zog ich ein Pentagramm um die Wachsfigur und kniete vor dem Tisch nieder. Ich hockte mich auf die Fersen, drückte die Stirn gegen die Tischkante, bewegte die Lippen und formte seltsame Worte, die einer uralten Dämonensprache entstammten. Nach einer halben Stunde löschte ich die Kerze und ging zu Bett.
Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, hatte die Beschwörung Erfolg. Am nächsten Tag spazierte ich kurz nach drei Uhr am See entlang. Ich mußte nicht lange warten, da tauchte Rupert auf. Er sah mich überrascht an.
»So ein Zufall, daß wir uns hier treffen«, säuselte ich.
»Allerdings!« stellte er verwirrt fest. »Dabei wollte ich nur ein wenig Spazierengehen.«
»Ich auch. Stört es dich, wenn ich dich begleite?«
Er schüttelte den Kopf.
Doch unsere gemeinsame Wanderung entwickelte sich nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Rupert beachtete mich nicht besonders. Er gab mir ziemlich einsilbige Antworten auf meine Fragen. Ich erfuhr nur, daß er seit einigen Wochen in einem kleinen Zimmer in Wien wohnte und Chemie studierte. Er hatte eine Freundin, die zwei Jahre älter als er war und die er sehr zu mögen schien.
Als wir uns verabschiedeten, krampfte sich mein Herz zusammen.
Er empfindet nichts für mich , dachte ich, überhaupt nichts.
Wütend rannte ich eine halbe Stunde im Wald umher, ballte immer wieder die Fäuste und schimpfte vor mich hin. Mein Entschluß stand fest. Ich würde Rupert an mich binden!
Nach einer Woche traf ich ihn wieder, doch er verhielt sich nur wenig anders als vorher. Ich wendete radikalere Mittel an. Er trennte sich von seiner Freundin, wandte sich aber nicht mir zu, was mich noch wütender machte. Noch aber war ich nicht so weit, einen Liebeszauber anzuwenden: ich wollte Rupert ohne magische Tricks gewinnen. Doch es war nicht einfach für mich, da ich ihn ja nur am Wochenende sehen konnte – und auch dann nur für sehr kurze Zeit.
Während der Weihnachtsfeiertage blieb er vierzehn Tage bei seinen Eltern. In dieser Zeit hoffte ich, uns beide zusammenbringen zu können.
Doch ich hatte mich verrechnet. Ich war unvorsichtig gewesen, und mein Onkel war mißtrauisch geworden. Am zweiten Weihnachtstag folgte er mir. Das magische Auge hatte ich mit meinem Ebenbild täuschen können, doch meinen Onkel nicht. Er sah zu, wie ich mich mit Rupert traf und wir uns unterhielten, wartete aber, bis ich ins Schloß zurückgekehrt war; dann erst ließ er mich zu sich rufen. Er sagte mir, daß er mich mit Rupert gesehen habe, obgleich er mir doch verboten hatte, mit irgendeinem Menschen in Kontakt zu treten, und belegte mich mit einem Bannspruch. Seitdem war ich endgültig auf dem Schloß gefangen gewesen, eingesperrt zwischen den düsteren Mauern und ohne Aussicht, wieder freizukommen, bevor ich zu meiner Familie zurückkehren durfte.
Und morgen war es soweit. Wien war nicht mehr weit, und schon bald würde ich der strengen Aufsicht meines Onkels für immer entronnen sein.
Zudem besaß ich ja immer noch Ruperts Haare. Sobald ich in Wien war, würde ich wieder eine Beschwörung durchführen; diesmal würde ich ihn endgültig an mich binden.
Zufrieden lächelnd schloß ich das Fenster. Seit ich wußte, daß ich endlich von hier fortkommen würde, hatte sich meine Laune entschieden gebessert. Ich
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