030 - Hexensabbat
war vergnügt und lachte viel. Nur gelegentlich machte ich mir Gedanken darüber, wie das Leben im Haus meiner Eltern wohl verlaufen würde. Ich konnte mich ja kaum mehr daran erinnern, wie sie eigentlich aussahen. Dann dachte ich an meine Schwester Vera, und meine gute Laune sank. Aber ich war sicher, Vera inzwischen überlegen zu sein.
Zum Abendessen zog ich mich um. Mein Onkel hatte sich schon den ganzen Tag über recht merkwürdig benommen, so als ob er hohen Besuch erwarte. Er verschwieg mir den Namen seines Gastes, befahl mir jedoch, mich besonders hübsch zu machen.
Ich schlüpfte in ein blutrotes Abendkleid, das sich wie eine zweite Haut um meinen Körper schmiegte und die Schultern und die Ansätze meiner Brüste entblößte. Mein langes, pechschwarzes Haar fiel in weichen Wellen weit über meine Schultern und reichte mir fast bis zu den Hüften. Ich betrachtete mich im Spiegel und fand mich umwerfend schön. Zufrieden ging ich ins Speisezimmer. Der große Tisch war festlich gedeckt. Sandra Thornton gab noch einige Anweisungen an die zwei Dienstmädchen, dann wandte sie sich mir zu.
»Benimm dich anständig, Coco!« sagte sie. »Mach deinem Onkel keine Schande. Wir haben heute einen wichtigen Besucher, und es ist für deinen Onkel wichtig, daß du einen guten Eindruck hinterläßt.«
»Wer kommt denn zu Besuch?« fragte ich neugierig.
»Das wird dir dein Onkel sagen«, erwiderte sie abweisend. »Er wird in wenigen Minuten hier sein.«
Ich wollte mich an den Tisch setzen, doch Sandra verbot es mir. Mißmutig blieb ich vor dem Tisch stehen. »Ich gehe auf mein Zimmer. Ich sehe nicht ein, weshalb …«
»Du bleibst hier«, sagte Sandra scharf.
Bevor ich noch etwas sagen konnte, spürte ich die unheimliche Ausstrahlung! Ein mächtiger Dämon näherte sich dem Speisezimmer. Seine Aura wurde immer stärker. Dann öffnete sich die Tür, und der Gast trat ein. Mein Patenonkel folgte ihm in respektvollem Abstand. Der Besucher blieb stehen und blickte zuerst Sandra an, bevor er sich schließlich mir zuwandte. Ich senkte den Blick. Der Fremde trug einen schwarzen, elegant geschnittenen Anzug. Seine Hände waren lang und schlank, die Finger sahen wie Tentakel aus. Sein Gesicht war ein weißer Fleck, ohne Nase und Mund; nur große, glühendrote Augen waren darin zu sehen. Dieser Fleck wurde von enganliegendem, schlohweißem Haar umrahmt. Ich spürte den Blick körperlich und fühlte mich den glühenden Augen schutzlos ausgeliefert. Es war mir, als würde ich nackt vor dem Fremden dastehen. Meine Knie wurden schwach, und ich hielt mich nur mühsam aufrecht. Der unheimliche Besucher ging auf mich zu, streckte die rechte Hand aus und faßte unter mein Kinn. Er hob meinen Kopf und starrte mir tief in die Augen, dann ließ er mich los und wandte sich ab.
»Das ist sie, Herr«, sagte mein Patenonkel. »Coco Zamis aus Wien.«
Der Dämon sagte nichts, sondern trat an den Tisch und setzte sich. Er sah mich an und deutete mit einer Hand auf den Stuhl zu seiner Rechten. Ich bewegte mich wie unter einem fremden Zwang und nahm neben dem Unbekannten Platz. Mein Onkel und Sandra ließen sich mir gegenüber nieder.
»Du hast nicht übertrieben, Cyrano«, sagte der Besucher. »Coco ist ein außergewöhnlich schönes Mädchen. Wenn sie über gute magische Fähigkeiten verfügt, dann kommt sie in Frage.«
»Sie ist die talentierteste Hexe, die ich je unterrichtet habe«, sagte mein Onkel. »Aber sie ist sehr eigensinnig.«
»Das kann man ihr austreiben. Darüber sprechen wir später.«
»Wie Sie wollen, Herr«, sagte Behemoth.
Ich blickte meinen Onkel verwundert an. So hatte ich ihn noch nie zuvor erlebt. Sonst trat er sehr selbstsicher und herrisch auf. Jetzt aber legte er eine geradezu hündische Untergebenheit an den Tag. Ich hatte meinen Patenonkel immer für einen Mann gehalten, der sich vor keinem anderen Dämon beugte. Auch Sandra war verändert. Sie saß steif da, als habe sie einen Stock verschluckt.
»Soll ich das Essen auftragen lassen?« fragte mein Onkel unsicher.
Der Besucher nickte.
Zwei Dienstmädchen servierten, und wir speisten in bedrückender Stille. Ich besaß normalerweise einen gesegneten Appetit, doch diesmal hatte ich Schwierigkeiten, auch nur einen Bissen herunterzuschlucken. Aber nicht nur mir ging es so; auch Sandra und mein Onkel saßen mit angespannten Mienen da. Als der erste Hauptgang aufgetragen wurde, hatte ich mich aber schon etwas an die unheimliche Ausstrahlung des Fremden gewöhnt.
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