030 - Hexensabbat
Gefühle nicht an einen gewöhnlichen sterblichen Menschen verschwenden darfst. Dadurch würdest du einen Großteil deiner magischen Fähigkeiten einbüßen – wenn nicht sogar alle! Ich habe dir deine Schwäche für Rupert Schwinger nicht weiter vorgeworfen, da ich sie für eine Jungmädchenschwärmerei gehalten habe, aber wie es aussieht, habe ich mich da getäuscht. Ich werde der Sache einen Riegel vorschieben.«
»Tu, was du willst«, sagte ich gleichgültig. »Wann fahren wir?«
»In einer halben Stunde«, sagte mein Onkel, stand auf und verließ das Zimmer.
Ich blieb zurück und stützte sorgenvoll den Kopf in die Hände. Meine Angst um Rupert Schwinger wuchs. Ich traute es meinem Onkel durchaus zu, daß er Rupert tötete. Für einen Dämon bedeutete ein Menschenleben nicht viel. Er brauchte Rupert nur etwas zu beeinflussen, und der Junge würde Selbstmord begehen. Ich preßte die Hände gegen meine pochenden Schläfen. Und ich kann nichts dagegen unternehmen , dachte ich verzweifelt.
Um mich abzulenken, malte ich mir die Rückkehr in das Haus meiner Eltern aus.
Unsere Familie stammte aus Rußland. Einer meiner Verwandten war Rasputin gewesen. Als die Bolschewiken die Herrschaft über das Land übernahmen, war meine gesamte Familie emigriert. Nur ein paar entfernte Verwandte wie zum Beispiel mein Großcousin Boris waren geblieben. Aber von ihm hatten wir schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gehört. Mein Vater hatte unsere Familie nach Wien gebracht und sich dort niedergelassen. Er heiratete eine der vielen Töchter Asmodis und zeugte mit ihr meine vier Brüder, meine zwei Schwestern und mich. Wir wurden jedoch alle von normalen Sterblichen ausgetragen, wie es in der Schwarzen Familie üblich ist. Auch die Erziehungsjahre beim Grafen von Behemoth waren meinen Geschwistern nicht erspart geblieben. Ich war die jüngste von ihnen und hatte die meiste Zeit auf dem Schloß meines Patenonkels verbracht.
Nur langsam fanden meine Gedanken in die Gegenwart zurück. Eine halbe Stunde später war der Zeitpunkt der Abreise gekommen. Im Hof stand ein schwarzer Mercedes.
»Wo ist mein Gepäck?« fragte ich.
»Im Kofferraum«, erwiderte Behemoth. »Eines der Dienstmädchen hat deine Sachen gepackt.«
Sandra Thornton stand neben dem Wagen. »Du warst meine beste Schülerin, Coco, aber du bist noch immer zu nachgiebig und weich. Du mußt noch viel an dir arbeiten, bevor du ein wertvolles Mitglied unserer Familie werden kannst. Ich wünsche dir, daß du es so weit bringst.«
Ich nickte schweigend, rang mir schließlich doch noch ein schwaches »Danke« ab und stieg in den Wagen. Mein Onkel setzte sich hinters Lenkrad und startete den Motor. Wie von unsichtbaren Händen gezogen, öffnete sich das Tor, und wir fuhren die schmale Straße entlang. Noch einmal wandte ich den Kopf und schaute zum Schloß zurück. Fünf endlose Jahre war ich hier gefangengehalten worden, und nun begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben.
Mein Onkel nahm die Straße nach Hartweg und bog dann nach rechts ab. Nach wenigen Minuten hatten wir die Autobahn erreicht, die nach Wien führte. Ich kuschelte mich in meinen Sitz und blickte aus dem Fenster.
»In einer Stunde sind wir in Wien«, sagte Behemoth.
Doch ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Ich überlegte, wie ich Rupert Schwinger retten und meiner Weihe zur Hexe entgehen konnte. Eine Flucht war unmöglich. Mein Vater hätte mich gefunden, wo auch immer ich mich versteckt hätte.
»Ich habe vor der Abfahrt mit deinem Vater gesprochen, Coco«, sagte mein Onkel und riß mich aus meinen Gedanken. »Er war sehr erfreut, als er von Asmodis Interesse an dir erfuhr.«
»Das kann ich mir denken«, meinte ich abweisend.
»Freust du dich denn nicht darüber?«
»Nicht besonders.«
Mein Onkel warf mir einen raschen Seitenblick zu und beschleunigte den Wagen. »Ich werde deinen Vater vor dir warnen, Coco. Er soll ein Auge auf dich haben. Ich traue dir zu, daß du weiter Dummheiten machst. Du darfst dich nicht von deinen Gefühlen leiten lassen. Das habe ich dir schon mehr als einmal gesagt. Du mußt an das Ansehen der Familie denken.«
»Spar dir deine Belehrungen!« fauchte ich. »Ich habe fünf Jahre lang nichts anderes von dir gehört.«
»Wie du willst«, sagte mein Onkel mißgelaunt. »Meine Aufgabe habe ich erfüllt. Alles weitere liegt bei dir und deinem Vater.«
Den Rest der Fahrt herrschte betretenes Schweigen. Ich hing meinen Gedanken nach. Je näher wir Wien kamen, desto
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