030 - Hexensabbat
reichte.
»Danke«, erwiderte ich schwach.
»Bleiben Sie noch, Fräulein, oder …?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich und wandte mich ab. Ich ging auf die Terrasse, setzte mich an einen Tisch und starrte den Briefumschlag an. Schließlich riß ich ihn auf, strich das Papier glatt und las:
Coco,
ich will Dich nie mehr sehen. Versuche nicht, mich noch einmal zu treffen. Ich empfinde nichts für Dich. Überhaupt nichts. Du bist ein kleines dummes Mädchen, nicht mehr.
Rupert
Ich zerknüllte den Zettel, sprang auf, lief auf den Bootssteg und warf ihn ins Wasser. Dann ging ich langsam zurück. Ich hasse ihn , dachte ich. Ich hasse ihn aus tiefster Seele.
Ich versuchte zu einem Entschluß zu kommen. Hier konnte ich nicht bleiben, aber wohin sollte ich gehen?
Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Ein knallroter Jaguar blieb vor der Pension stehen, und ein Paar stieg aus. Georg und Lydia waren gekommen, um mich abzuholen. Beide blickten mich nur schweigend an, als ich mit hängenden Schultern näherkam. Wertlos kroch ich in den Fond des Wagens und lehnte mich zurück. Georg startete den schweren Wagen und raste die Uferstraße entlang.
»Sie hat ihre Fähigkeiten verloren«, stellte Lydia fest.
»Das ist schlimm«, knurrte er.
»Bleibt es trotzdem dabei?« wollte sie wissen.
Er nickte grimmig.
»Wie habt ihr mich gefunden?« fragte ich dazwischen.
Lydia wandte den Kopf und schaute mich böse an. »Das weißt du doch ganz genau. Es müßte dir doch klar gewesen sein, daß deine Flucht ziemlich sinnlos sein würde. Du entgehst deiner Strafe nicht, du mißratenes Geschöpf.«
»Laß das, Lydia«, sagte Georg. »Die Beschuldigungen können warten. Vorerst müssen wir Cyrano helfen.«
»Du hast alles zerstört, was wir aufgebaut haben«, zischte Lydia. »Der Name Zamis wird in der Familie nur noch spöttisch ausgesprochen. Asmodi rast vor Wut und verlangt von Cyrano Buße. Auch du mußt dich rehabilitieren, sonst geht es uns allen schlecht.«
»Was muß ich tun?« fragte ich ängstlich.
»Das wirst du rechtzeitig erfahren«, sagte Georg.
»Und alles wegen eines sterblichen Mannes!« höhnte Lydia. »Das ist ja das Widersinnige an der ganzen Sache. Mit ihren Fähigkeiten hätte sie sich jeden Sterblichen angeln können, aber nein, diese dumme Gans verliebt sich. Und jetzt hat sie ihre Fähigkeiten verloren, was die ganze Sache noch erschwert.«
»Hör mit dem Jammern auf, Lydia!« sagte Georg. »Das ändert auch nichts.«
»Du hast leicht reden«, fauchte sie. »Mein ganzes Leben ist wegen dieses dummen Geschöpfs zerstört. Früher regnete es nur so Einladungen – und jetzt? Plötzlich will niemand mehr etwas mit uns zu tun haben. Und da soll ich nicht jammern?«
»Glaubst du vielleicht, daß es mir besser geht?« brüllte Georg. »Jetzt halt endlich den Mund!«
Einige Minuten wurde nicht gesprochen, dann sah Lydia mich wieder an. »Am liebsten würde ich dir den Hals umdrehen«, zischte sie, »aber das würde alles nur noch schlimmer machen. Doch eines sage ich dir, Coco, wenn du jetzt nicht aufs Wort gehorchst, geht es dir schlecht. Wir tun uns alle zusammen, und du wirst Qualen erleiden wie nie zuvor.«
»Ich sage, daß du den Schnabel halten sollst, Lydia«, rief Georg wütend. »Mit deinem Gerede machst du sie noch störrischer.«
»Wohin bringt ihr mich?« fragte ich nach einiger Zeit.
»Zu deinem Patenonkel aufs Schloß.«
»Da will ich nicht hin!« sagte ich rasch.
»Es bleibt dir aber nichts anderes übrig«, sagte Lydia.
Die nächsten Tage waren ein nicht endender Alptraum. Meine gesamte Familie hatte sich auf dem Schloß versammelt. Sie unternahm alles, damit ich meine Fähigkeiten zurückbekam.
Ich wußte noch immer nicht, was mein Patenonkel und ich tun sollten, um Asmodi zu versöhnen; nur eines war klar, ich mußte dafür den Verlust meiner magischen Kräfte rückgängig machen. Und wir hatten nicht mehr viel Zeit dazu. Beim nächsten Vollmond mußte es geschehen, und das war in drei Tagen.
Ich versuchte, nicht mehr an Rupert zu denken, doch es gelang mir nicht. Es wäre für meine Geschwister leicht gewesen, mir die Erinnerung an ihn zu rauben, doch damit hätten sie mir auch nicht meine Fähigkeiten zurückgeben können. Sobald sich meine Gedanken um den Jungen drehten, erfüllte mich eine tiefe Traurigkeit. Ich vermochte ihn nicht zu hassen. Noch zu deutlich schwang das herrliche Gefühl nach, das ich in seinen Armen empfunden hatte. Das würde ich nie
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