0303 - Die Satans-Zwerge von Sylt
kümmern, oder was meint ihr dazu?«
Der Ansicht waren wir auch.
»Da brauchen wir erst gar nicht in meinen Wagen zu steigen. Die Lengerichs können wir zu Fuß erreichen. Die wohnen nur ein paar Häuser von hier entfernt.«
Ich versuchte, mir die Frau des Toten ins Gedächtnis zu rufen.
Schließlich hatte ich sie auf der Beerdigung gesehen. So sehr ich mich auch anstrengte, es war nicht mehr möglich. Am Grab hatten sich einfach zu viele Leute versammelt.
»Können wir noch etwas für Sie tun?« fragte Meissner den Arzt.
»Nein, danke, meine Frauen versorgen mich schon.« Dr. Mommsen lächelte.
Er richtete sich mühsam auf und lehnte unsere angebotene Hilfe schroff ab. Er fixierte den Polizeibeamten und sagte mit leiser, dennoch eindringlich klingender Stimme. »Sie wissen aber Bescheid, Inspektor.«
»Wieso?«
Der Arzt preßte für einen Moment die Lippen zusammen. Dabei verzerrte sich sein Gesicht. Es war ihm anzumerken, wie stark ihn die Schmerzen noch malträtierten. Er öffnete den Mund, hauchte und formulierte vorsichtig die nächste Antwort. »Denken Sie an die alte Legende. Sie müssen sie kennen. Schließlich leben Sie lange genug auf der Insel.«
Meissner wurde rot. »Unsinn!« knurrte er.
»Haben Sie einen solchen Zwerg nicht vorhin mit eigenen Augen gesehen, Inspektor?«
»Schon, aber…«
»Kein aber. Das sind sie. Wenn ich es Ihnen sage. Ich hätte damit ja nie gerechnet, aber es gibt für mich keine andere Möglichkeit. Das sind die Zwerge, von denen die alten Legenden berichteten.«
Nach diesen Worten sank der Arzt zurück. Das viele Reden hatte ihn angestrengt. Er war erschöpft.
Ich sah das zweifelnde Gesicht des Polizisten und bat ihn, mit nach draußen zu gehen.
Er folgte mir ohne Widerspruch. Im Flur hob er die Schultern.
»Der Arzt hatte ja recht, aber das wollte ich nicht so ohne weiteres zugeben. Allmählich setzt sich bei mir auch die Überzeugung durch, es hier mit einer Legende zu tun zu haben.« Er lächelte. »Aber Sie wissen ja nichts davon.«
»Das sagen Sie mal nicht«, antworteten Suko und ich fast wie aus einem Munde und schauten in das erstaunte Gesicht des deutschen Inspektors.
»Wieso?«
»Wegen dieser Legende sind wir schließlich hergekommen«, erklärte der Chinese.
»Wirklich?«
»Ja«, bestätigte ich.
»Aber was wissen Sie davon? Hat es sich bis London schon herumgesprochen?«
»Nein, das nicht gerade.« Ich schlug dem Inspektor auf die Schulter.
»Schauen wir uns zunächst einmal bei dieser seltsamen Familie Lengerich um. Alles andere sehen wir später.«
Der deutsche Inspektor nickte. »Ich jedenfalls bin zu jeder Schandtat bereit.«
Suko und ich waren froh, daß er es so sah…
***
Im Hochsommer bekam man an gewissen Tagen keinen Platz mehr am feinkörnigen Sandstrand der Insel. Jetzt im Winter wirkte er verlassen.
In den späten Morgen- und den frühen Nachmittagstunden gab es immer wieder Spaziergänger, die durch den Sand liefen, die frische Luft genossen und einfach nur den klaren Sauerstoff tanken wollten. Später allerdings, wenn die Sonne sich allmählich dem graugrünen Meer entgegensenkte und am Horizont versank, blies auch der Wind stärker, und den meisten Spaziergängern wurde es dann zu kühl.
Sie zogen sich in ihre Hotels, Pensionen oder Gasthäuser zurück.
So kam es, daß der Strand praktisch menschenleer war.
Doch das schien nur so.
Tatsächlich aber tat sich etwas. Zwar nicht oberhalb der Strandfläche, sondern darunter.
Ein scharfer Beobachter hätte sehen können, daß sich der Sand bewegte. Es war nicht der Wind, der dafür die Verantwortung trug.
Die Gründe der Bewegung lagen im wahrsten Sinne des Wortes tiefer.
Unter der Oberfläche.
Dort lauerte die gefährliche, geheimnisvolle Kraft, die auch nach oben strömte und sich durch nichts aufhalten ließ. Sie erreichte den Sand, so daß nicht nur die feinen Wellen entstanden, sondern auch kleine Löcher, die wie Trichter wirkten, so daß der sich an den Rändern befindliche Sand ständig nachrieselte.
Aus dem Sand kam etwas.
Zuerst war es eine kleine Hand, die sich hervorschob. Lange, braune Finger krümmten sich und bildeten eine Faust. Sie wurde abermals geöffnet, die Hand ausgestreckt und lag mit ihrer Fläche jetzt auf dem Sand, der an dieser Stelle von den heran laufendenden Wellen noch nicht benetzt wurden.
Der Hand folgte ein Arm. Dünn, klein, aber zäh aussehend. Eine Schulter folgte, schließlich der Kopf mit den abstehenden Ohren und den glühenden
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