0303 - Die Satans-Zwerge von Sylt
spitz aus dem Rahmen, und als wir das Fenster erreichten, huschte die kleine, braune Teufelsgestalt durch Gartenbeete und tauchte – ein gellendes Gelächter ausstoßend – in eine Hecke ein.
Ich hatte meinen rechten Arm aus dem Fenster gestreckt, zog ihn wieder zurück und steckte die Beretta ein. Es hatte keinen Sinn, hinter der Gestalt her zu feuern. Das wäre nur Munitionsverschwendung gewesen.
Suko hob die Schultern und zog ein zerknirschtes Gesicht. Seinem Beispiel folgte ich und schaute zu, wie sich vier Personen um den am Boden liegenden Arzt bemühten.
Drei seiner Helferinnen und der Inspektor.
Meissner stand als erster auf. Da der Hut nicht mehr auf seinem Kopf saß, konnten wir erkennen, daß er nur noch wenige Haare hatte, die in Höhe des Hinterkopfs einen braunen Kranz bildeten.
Auf dem Gesicht lag ein Schweißfilm.
»Mein Gott«, sagte der Polizist, »das wäre fast ins Auge gegangen.«
»Dann lebt der Doktor noch?« fragte ich.
»Zum Glück.«
Frau Hinrichs scheuchte die beiden jüngeren Frauen. In einer Arztpraxis war natürlich alles vorhanden, und wenig später hatte der Doktor einen Verband bekommen. Wie ein weißer Würgestrick umschlang er seinen Hals.
Suko und ich sorgten dafür, daß er vom Boden auf eine Liege gebettet wurde. Der Doktor hielt die Augen offen. Ich hoffte natürlich stark, daß er reden würde und sich nicht zu schwach fühlte.
»Bitte, Wasser…« Es waren die ersten Worte, die rau über seine Lippen drangen.
Frau Hinrichs holte ihm ein Glas. Wir schufen Platz, damit sie mit dem gefüllten Glas an die Liegestatt treten konnte. Vorsichtig flößte sie ihrem Chef das Wasser ein.
Der schluckte und verzog das Gesicht. Dann trank er noch einmal, bevor er ein »Danke« flüsterte.
Wir warteten und waren froh, daß Meissner dieselbe Meinung vertrat wie auch Suko und ich.
Da der Inspektor hier heimisch war, ließen wir ihm den Vortritt.
Meissner ließ sich auf der Kante nieder, lächelte und schaute den Verletzten dabei an.
»Alles in Ordnung, Doktor?«
»Ja, so einigermaßen.«
»Da haben Sie noch einmal Glück gehabt.«
Dr. Mommsen schluckte. Er war schon älter. Sein dunkles Haar zeigte an zahlreichen Stellen einen weißen Schimmer. Jetzt war es zerwühlt, und nahe des Fensters lag seine zerbrochene Brille, die ihm während des Kampfs vom Gesicht gefallen war. »Dann habe ich meine Rettung wohl Ihnen zu verdanken«, sagte er zu dem Inspektor.
»Nicht ganz. Auch diesen Männern hier.«
Der Arzt drehte den Kopf. Sein Blick traf uns. »Wer sind Sie? Feriengäste?«
»Nein, Polizeibeamte aus England.«
»Was wollen Sie denn hier?«
Ich fühlte mich bemüßigt, einzugreifen. Auch Suko gab mir einen leichten Rippenstoß. »Wir sind wegen dieses Zwergs gekommen«, erwiderte ich. »Der hat Ihnen ja diese großen Schwierigkeiten bereitet.«
»Das kann man wohl sagen«, formulierte der Doktor mit schwacher Stimme. »Sogar lebensgefährliche.«
»Können Sie uns sagen, woher die kleine Bestie so plötzlich gekommen ist?«
»Nein. Sie stand plötzlich in meinem Zimmer. Ich hatte soeben eine Patientin entlassen. Bevor ich mich versah, schleuderte sie ein glühendes Band.« Er lächelte krampfhaft. »Warum gerade ich?«
»Das möchten wir gern von Ihnen wissen.«
»Ich habe aber keine Ahnung.«
»Vielleicht nicht bewußt. Wenn Sie mal darüber nachdenken, könnte es unter Umständen ein Motiv geben.«
»Und welches?«
»Sie haben doch den Totenschein dieses Lars Lengerich ausgestellt, oder irre ich mich da?«
»Sie irren sich!«
Ich schaute den Inspektor an. Der hob die Schultern und sagte mit leiser Stimme: »Dann ist möglicherweise überhaupt kein Totenschein ausgestellt worden.«
»Das kann gut sein«, gab der Arzt zu, »denn auch ich habe keine Leiche gesehen.«
Wir waren perplex. So etwas war mir in meiner Praxis auch noch nicht untergekommen. »Kein Totenschein, trotzdem eine Beerdigung. Das ist seltsam.«
»Sie müßten sich an die Familie wenden«, flüsterte Dr. Mommsen.
»Seine Frau hat darauf bestanden, daß der Sarg nicht geöffnet wurde, und sein Bruder hat sogar Wache gehalten, damit sich kein Fremder nähern konnte. Bitte, ich habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur davon gehört.«
»Was sagen Sie dazu, Inspektor?« wandte ich mich an meinen deutschen Kollegen.
»Ich bin baff.«
Es war genau der richtige Ausdruck.
»Mir scheint, wir sind hier falsch«, mischte sich Suko ein. »Wir sollten uns mal um die Familie Lengerich
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