0303 - Die Satans-Zwerge von Sylt
senkte den Blick. Jetzt konnte sie in sein Gesicht schauen.
Dabei schielte sie über den Dolch hinweg.
»Jetzt bist du dran!« flüsterte sie heiser. »Jetzt werde ich dich killen…«
Ralf Richter bäumte sich auf. Sein Zustand hatte sich schlagartig verändert. Er fühlte sich wieder normal.
Und er schrie.
Es waren abgehackte, grell klingende Laute, die aus seinem Mund drangen. Vielleicht hätte er noch weiter geschrien, doch ein scharfer Befehl stoppte ihn.
»Sei still!«
Der Junge gehorchte. Er wagte nicht, sich gegen die Anordnung dieser Frau zu stellen. Zu gewaltig war seine Furcht, zu groß die Angst, die ihn umklammert hielt.
Das Schreien hatte man ihm verboten, nicht aber das Sprechen, und er mußte sich überwinden, um überhaupt einen Laut hervorbringen zu können.
»Warum?« ächzte er. »Bitte, sagen Sie! Warum wollen Sie mich denn töten?«
»Wir bringen alle um. Wir haben den Auftrag!«
Ralf lachte schrill. »Welchen Auftrag? Wer hat ihn dir gegeben, Erna Lengerich?«
»Der Teufel!«
»Den gibt es nicht!«
»Oh, den gibt es doch. Ich selbst habe sein Gesicht gesehen. Es war häßlich und schön zugleich. Faszinierend, abstoßend, und er hatte eine Botschaft für mich. Nur für mich. Mein Mann ahnte nichts davon.« Das Gesicht der Frau verzog sich zu einem dünnen Lächeln. Die faltige Haut spannte sich dabei, die Lippen zuckten, und die Augen lagen so bewegungslos wie festgeklebte Glasmurmeln in den Höhlen.
Instinktiv ahnte Ralf, daß er sein Leben verlängern konnte, wenn er Zeit gewann. Vielleicht merkte Thorsten etwas. Er mußte zu ihm kommen und dieses Weib überwältigen.
Daran klammerte er sich fest.
»Ich begreife dich nicht. Was wollte der Teufel denn von dir?«
»Er hat mir etwas geschenkt.«
»Was denn?«
Die Frau bewegte ihre rechte Hand, so daß die Klinge ihre Lage veränderte und Ralf direkt auf die breite Seite schauen konnte.
»Dieses Messer hier schenkte mir der Satan.«
Ralf verstand nicht. Er schüttelte sogar den Kopf, wobei er den Sand unter seinem Hinterkopf verrieb. »Ich… ich begreife das nicht. Wieso hat er dir …«
»Es ist eine besondere Waffe. Sie erschien eines Nachts bei mir, tauchte aus dem Sand auf, und ich wußte sofort, daß sie alles verändert hatte. In dem Griff dieses Messers wohnt eine unheimliche Magie, die es geschafft hat, diejenigen aufzuwecken, die lange, sehr lange unter dem Sand gelegen haben. Die Satans-Zwerge von Sylt. Der Dolch trug dafür Sorge, daß sie ihren Schlaf vergaßen, und ich sorgte für sie. Die Gnome kamen in mein Haus, ich stellte es ihnen zur Verfügung, denn ich hatte die Botschaft des Meisters genau gehört. Nicht nur im Traum ist er mir erschienen, sondern auch wahrhaftig. Er war schön. Ein Gesicht, das nur aus Blut zu bestehen schien. Ich habe mich direkt in dieses Gesicht verliebt, wie du dir denken kannst…«
Nein, das konnte sich Ralf Richter sehr schlecht vorstellen. Obwohl er nur in die verklärt wirkenden Züge der Erna Lengerich zu schauen brauchte, um erkennen zu können, daß diese Frau völlig unter dem Bann eines anderen stand.
»Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die ihn gesehen haben. Der Teufel hat sich mir offenbart.«
»Nein!« flüsterte Ralf Richter. »Das war nicht der Teufel. Nie und nimmer. Der Satan hat kein blutiges Gesicht. Er ist pechschwarz, er ist häßlich…«
»Hör auf!« schrie die Frau. »Was weißt du schon über ihn? Gar nichts, überhaupt nichts. Du kannst ihn nicht beleidigen, du darfst ihn nicht beleidigen, das lasse ich nicht zu. Für diese Worte wirst du büßen. Dein Blut soll diesen Strand tränken. Ich habe die Zwerge geholt, ich werde sie weiter beobachten und ihnen helfen. Bald wird die Insel uns gehören. Das Weihnachtsfest wird für sie und mich ein Tag der Freude. Für die anderen aber Stunden des Schreckens. Schade, daß du sie nicht mehr erleben kannst, denn ich werde dich umbringen!«
Diese Worte überraschten Ralf Richter nicht einmal. Er hatte damit gerechnet.
Es gab eigentlich keine andere Möglichkeit. Wer dem Bösen diente, kannte Menschen gegenüber keine Gnade.
Da reagierte auch Erna Lengerich nicht anders.
Die Frau war wirklich besessen. Bisher hatte der Junge wenig Kontakt zu ihr gehabt. Wenn Lars am Strand arbeitete, hielt sie sich meistens im Wohnhaus auf. Sie war immer ruhig gewesen, sagte wenig und handelte.
Wie auch jetzt.
Leicht beugte sie sich vor, damit die schwarze Klinge einen nicht zu großen Weg zurücklegen mußte, wenn sie
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