0306 - Die Träne des Teufels
gewaltiger Kleiderschrank mit mindestens sechs Türen, davor die drei stummen Diener, an die man Kleidungsstücke hängen konnte, und rechts sah ich das Bett.
Zerwühlt und leer.
Der Mann, der eigentlich hätte in ihm liegen müssen, stand an der rechten Wand, dicht neben einem kleinen Safe, dessen zwei Türen weit geöffnet waren.
Das mußte Hendrik van Doolen sein!
Der Mann trug einen Pyjama. Die beiden obersten Knöpfe waren nicht geschlossen. Das Gesicht des Maklers war zu einer Fratze geworden.
Aus roten und verquollenen Augen blickte er mich an, ein Zeichen, daß er geweint hatte. Er stand nicht aufrecht, sondern ein wenig in die Knie gesackt, starrte mich an und wollte etwas sagen, das merkte ich genau.
Er brachte nur kein Wort hervor.
Auch ohne daß er eine Erklärung abgegeben hatte, wußte ich Bescheid. Dazu brauchte ich mir nur die offenstehende Safetür anzuschauen. Wahrscheinlich hatte in diesem Tresor die Trane des Teufels gelegen. Nun war sie verschwunden.
Befand sich der Dieb noch in der Nähe? Ich wußte es nicht. Auskunft darüber konnte mir sicherlich nur Hendrik van Doolen geben, und dem ging es verdammt schlecht.
Wachsam schritt ich auf den Mann zu. Er sah mich kommen, reagierte jedoch auf nichts, sondern starrte mich nur an. Ich hatte das Gefühl, als würde er sich in einem Zustand befinden, wo ihn nichts mehr erschütternd konnte.
Einen Schritt vor ihm stoppte ich. Um meine friedlichen Absichten zu dokumentieren, ließ ich den rechten Arm mit der Beretta sinken und sprach den Makler an. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen, Mr. van Doolen.« Ich redete Englisch und war sicher, daß er mich verstand.
Tatsächlich, denn er fragte in meiner Heimatsprache zurück. »Wer… wer sind Sie?«
»Mein Name ist John Sinclair.«
»Ich kenne ihn nicht. Ich habe Sie noch nie hier gesehen. Haben Sie auch mit ihr zu tun?«
Ich wurde mißtrauisch. »Wen meinen Sie?«
Da lachte er und schüttelte den Kopf. Danach gab er mir die Antwort auf eine Art und Weise, mit der ich nicht gerechnet hatte. Er drehte sich ein wenig und hob den rechten Arm.
Ich erschrak!
Mein Gott, war das schrecklich. Hendrik van Doolen hatte seine Hand verloren!
Ich wurde blaß, mir fehlten auch die Worte, und ich hörte ihn zischen.
»Das hat man mit mir gemacht«, jammerte er. »Das hat man mit mir gemacht. Ich bin gezeichnet, ich bin ein Krüppel! Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Der Stein ist auch weg…«
»Wer war es?«
Van Doolen hörte auf zu lamentieren. Seine Hand sank nach unten. Er schüttelte den Kopf. »Ich… ich kenne sie nicht. Sie ist schrecklich.«
»Eine Frau?«
»Ja und nein.«
»Reden Sie! Bitte!« drängte ich.
»Frau und Hexe. Verbrannt. Sie war verbrannt. Überall, und sie wollte den Stein!«
Meine Augen wurden groß. Ich spürte den Schauer, der über meinen Rücken rieselte. Ohne daß der Mann vor mir den Namen ausgesprochen hatte, wußte ich, mit wem ich es hier zu tun hatte.
Mit einer ganz speziellen »Freundin«.
Mit Wikka!
Sie hatte die ehemalige Detektivin Jane Collins auf ihre Seite gezogen.
Sie diente allein dem Teufel, und sie stand auch gegen andere Dämonen, die dem Satan an den Kragen wollten. Da brauchte ich nur an Mandraka zu denken.
Sollte sich plötzlich ein Kreislauf schließen, bei dem die Träne des Teufels ein wichtiger Teil war?
»Wo ist sie hingelaufen?« fragte ich. »Reden Sie, van Doolen! Vielleicht kann ich sie noch stoppen.«
»Nein, nein! Sie sind ein Mensch, das geht nicht, das können Sie nicht. Es ist unmöglich…«
»Doch, ich muß!«
»Sie ist, sie ist…« Er verstummte. Dafür schüttelte er den Kopf, aber sein Blick änderte sich.
Er wurde plötzlich lauernd, gespannt und gleichzeitig auch erschreckt.
Das mußte etwas zu bedeuten haben. Außerdem glitt er an meiner linken Seite vorbei.
Ich kreiselte herum.
Eine huschende Bewegung nahm ich noch wahr. Mehr nicht, denn die Tür wurde im selben Augenblick weiter geöffnet.
Eine Gestalt wischte hindurch.
Obwohl ich sie nur kurz sah, erkannte ich doch, wen ich vor mir hatte.
Wikka!
Ich feuerte.
Als der Schuß aufpeitschte, zuckte der Makler zusammen. Er schrie auch auf, vielleicht hatte er Angst, getroffen zu werden. Mir aber kam es allein auf Wikka an.
Und die verfehlte ich, denn genau in dem Augenblick, als ich abdrückte, schloß sie die Tür.
Das geweihte Silbergeschoß hieb in das Holz.
Mit einem Knall war die Tür wieder zugerammt worden. Vom Gang her vernahm ich Wikkas
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