031 - Die blaue Hand
Plantage in Brasilien.
Er erhob sich, holte aus einer Schublade Rasierzeug und ein Handtuch, machte Wasser auf dem Gasherd in der Küche heiß und rasierte sich. Darauf durchstöberte er im Abstellraum nebenan die verschiedenen eingebauten Schränke, inspizierte die Anzüge und Mäntel, die auf Bügeln hingen, und holte aus den oberen Fächern einige der Schachteln herunter, die dort untergebracht waren, um ihren Inhalt zu prüfen. Einer länglichen Schachtel entnahm er ein prachtvolles Abendkleid mit Silberspitzen und legte es über die Stuhllehne. In den anderen Kartonschachteln fand er nach einigem Suchen auch dazu passende Satinwäsche und ein Paar weiße Seidenschuhe. Er legte alles sorgfältig auf dem Stuhl zurecht und war mit seiner Wahl sehr zufrieden. Auch über seine eigene Verkleidung war er sich bei dieser Gelegenheit klargeworden.
Zunächst aber zog er seine Chauffeurjacke wieder an und ging zum Telefon.
32
»Wie, Jane Groat ist tot?« Lady Mary war bestürzt.
Jim saß teilnahmslos in Mr. Salters Büro. Er sah müde, niedergeschlagen und hohläugig aus.
»Der Arzt nimmt an, daß sie eine zu große Dosis Morphium genommen hat«, erklärte Mr. Salter.
Lady Mary schwieg lange.
»Ich glaube, Jim, es ist jetzt Zeit, daß ich Ihnen etwas über die Bedeutung der blauen Hand erzähle.«
»Wird es uns ein wenig weiterhelfen?« fragte Jim gespannt.
»Ich fürchte, es wird uns nicht viel helfen, aber trotzdem muß ich es Ihnen jetzt sagen. Das Zeichen der blauen Hand richtete sich nicht gegen Digby Groat, sondern gegen seine Mutter. Es war ein schwerer Fehler von mir, zu glauben, Digby Groat sei vollständig in der Gewalt seiner Mutter. Ich war sehr bestürzt, als ich entdeckte, daß umgekehrt sie ihm sklavisch gehorchte. -Die Geschichte der blauen Hand ist weder phantastisch noch dramatisch, wie Sie vielleicht erwarten. Ich verheiratete mich sehr jung, Sie wissen es -.« Sie nickte Salter zu. »Mein Vater war damals ein armer Adliger, der nur eine Tochter und keine Söhne hatte. Es war furchtbar schwer für ihn, das Verschuldete Familiengut zu halten. Er lernte Jonathan Dantons Vater kennen, und die beiden verabredeten eine Heirat zwischen mir und dem jungen Danton. Ich hatte ihn früher nie gesehen und lernte ihn erst eine Woche vor der Hochzeit kennen. Er besaß einen kühlen, harten Charakter und war ebenso stolz, rechthaberisch und unbeugsam wie sein Vater. Dazu kam noch seine Reizbarkeit und der Pessimismus, beides verursacht durch sein Herzleiden, an dem er später ja auch gestorben ist. Meine Ehe war sehr unglücklich. Sympathie und Entgegenkommen, wie ich es erwartet hätte, fand ich bei ihm nicht. Er schien mir vom ersten Augenblick an zu mißtrauen. Ich glaube, daß er mich manchmal haßte, weil ich einer Gesellschaftsschicht entstammte, die er trotz seines Reichtums als überlegen empfand. Als unser Töchterchen geboren wurde, hoffte ich, daß sich seine Haltung mir gegenüber ändern würde, aber er zog sich immer mehr zurück, und wir wurden uns noch fremder. Ich wußte, daß seine Schwester, Jane Groat, früher in irgendeine Skandalaffäre verwickelt gewesen war. Jonathan sprach nie darüber und ließ sich nichts anmerken. Der Vater dagegen stand ihr ausgesprochen feindselig gegenüber. Jane hatte einen merkwürdigen, unausgeglichenen Charakter. Sie konnte lebhaft, vergnügt sein und gleich darauf in melancholischen Pessimismus verfallen. Eines Tages, als sie zum Tee zu mir kam, war sie so nervös und gereizt, daß ich mir Sorgen machte. Ich nahm an, sie habe sich wieder über ihren Jungen geärgert, der sehr schwer zu erziehen war. Auf einmal zog sie eine Schachtel hervor. Ich kann wirklich nicht länger warten, Mary, sagte sie gereizt und nahm eine Pille. Ich dachte zuerst, daß es ein Medikament sei. Als ich aber sah, wie ihre Augen glänzten und sich ihr ganzes Verhalten veränderte, ahnte ich die Wahrheit. Du nimmst doch nicht etwa Morphium, Jane? fragte ich. Nur in ganz kleinen Mengen, antwortete sie, beunruhige dich deshalb nicht, Mary. Wenn du meine Sorgen hättest, würdest du auch deine Zuflucht dazu nehmen! Aber das war nicht einmal das Schlimmste, wie ich bald darauf erfahren sollte, als mein Mann eine Geschäftsreise nach Amerika machte. Dorothy war damals erst sieben oder acht Monate alt. Eines Morgens kam Jane zu mir und bat mich, mit ihr zusammen auszugehen und Einkäufe zu machen. Sie war so vergnügt und angeregt, daß sie bestimmt wieder unter dem Einfluß des Morphiums
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