031 - Die blaue Hand
einzurichten. Als Jane Groat mich nun besuchte und ich in den Besuchsraum kam, um mit ihr zu sprechen, hatte ich vergessen, zuvor meine Hände zu reinigen. Erst als mir auffiel, wie sie auf meine Hände starrte, mit denen ich mich am Eisengitter festhielt, sah ich, daß sie dunkelblau waren. - O wie schrecklich! rief sie. Deine Hände sind ja blau! - Meine Hände waren blau - deshalb wurde die blaue Hand zum Symbol für die Ungerechtigkeit, die diese Frau an mir begangen hatte. Ich machte ihr keine Vorwürfe, ich war zu müde und niedergeschlagen, um mit ihr zu rechten oder ihr den gemeinen Verrat vorzuhalten. Aber sie versprach mir, meinem Mann die Wahrheit zu sagen. Auch erzählte sie mir, daß sie sich in der Zwischenzeit meines Kindes angenommen und es mit einem ihrer Mädchen nach Margate geschickt habe. Sie hätte dies veranlaßt, damit die Leute, wenn sie nur das Kind sähen, sich nicht wunderten, wo ich geblieben wäre. So aber, wenn auch das Kind nicht in der Stadt war, nähmen alle an, ich sei mit dem Kind verreist. - Und dann ereignete sich der schreckliche Unglücksfall, bei dem Dorothy, wie ich damals annehmen mußte, den Tod fand. Jane Groat sah sofort den Vorteil, der sich für sie daraus ergab. Irgendwie mußte sie vom Inhalt des Testaments meines Mannes erfahren haben. Ich selbst hatte keine Ahnung davon. Als er bald darauf aus Amerika zurückkehrte, ging sie sofort zu ihm und erzählte, daß ich wegen Ladendiebstahls verhaftet und verurteilt worden sei und daß Dorothy, um die ich mich nicht gekümmert hätte, den Tod gefunden habe. Mein Mann regte sich so sehr darüber auf, daß er einen Herzschlag bekam und starb. Man fand ihn tot in seinem Büro, nachdem seine Schwester gegangen war. Einen Tag bevor ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, erhielt ich einen Brief von Jane, in dem sie mir brutal diese Tatsachen mitteilte. Sie machte nicht den geringsten Versuch, mir die Nachricht vom Tod meines Kindes vorsichtig beizubringen. Der ganze Brief schien nur in der Absicht abgefaßt worden zu sein, meine Gesundheit und womöglich mein Leben in Gefahr zu bringen. -Glücklicherweise besaß ich das Haus in der Stadt. Kurz nach meiner Entlassung erbte mein Vater ein großes Vermögen, das bei seinem Tod auf mich überging. Nun war ich in der Lage, Nachforschungen nach Dorothy anzustellen, und ich habe all diese langen Jahre hindurch nichts unversucht gelassen, sie zu finden. Gerade weil ich Jane zutiefst mißtraute, zweifelte ich am Tod des Kindes. Ich glaubte immer, sie halte es irgendwo versteckt. Durch das Zeichen der blauen Hand wollte ich sie terrorisieren und zu einem Geständnis bringen.«
Salter hatte der Erzählung Lady Marys schweigend gelauscht.
»Damit also ist auch das letzte Geheimnis gelöst«, sagte er.
33
Als Eunice erwachte, versuchte sie sich klarzumachen, was geschehen war. Als letzte klare Erinnerung tauchte das Erlebnis in ihrem Zimmer am Grosvenor Square auf. Digby Groat war auf sie zugekommen ... Sie zitterte noch jetzt bei dem Gedanken und wollte sich aufsetzen, sank aber mit furchtbaren Kopfschmerzen wieder zurück. Wo war sie? Sie schaute sich um. Ein grüner Vorhang hing vor dem Fenster, aber es fiel genug Licht ein. Der Raum war einfach möbliert - Couch, Kasten, Waschständer und Teppich.
Sie war vollständig angezogen und fühlte sich entsetzlich elend. In diesem Augenblick wünschte sie sich in Mrs. Groats Haus zurück, in das luxuriöse Badezimmer - wie gern hätte sie jetzt ein Bad genommen.
Wo mochte sie nur sein? Sie stand auf, schwankte durchs Zimmer und zog den Vorhang zur Seite. Graue Wände hoher Hinterhäuser -sie war also in London. Nur in London konnte man derartig hohe und langweilige Häuser sehen. Sie wollte die Zimmertür öffnen, sie war verschlossen. Gleich darauf hörte sie draußen Schritte.
»Guten Morgen«, sagte Digby Groat, als er aufgeschlossen hatte und eintrat.
Zuerst erkannte sie ihn in seiner Chauffeurkleidung und ohne Schnurrbart nicht.
»Sie?« fragte sie furchtbar erschrocken. »Wo bin ich? Warum haben Sie mich hierhergebracht?«
»Auch wenn ich Ihnen sage, wo Sie sind, nützte Ihnen das nicht das geringste. Und warum Sie bei mir sind, ist doch wohl klar? Seien Sie also vernünftig, frühstücken Sie etwas!«
Er beobachtete sie als Arzt. Die Wirkung der Spritzen hatte noch nicht ganz aufgehört, und sie brachte noch keinen großen Widerstand auf.
Ihre Kehle war vertrocknet, ein Hungergefühl plagte sie. Sie nippte an dem Kaffee, den
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