031 - Die Mörderpuppen der Madame Wong
unsichtbare Mörder musste erkannt haben, dass sein
Schuss den Falschen getroffen hatte. Sein Ziel war Larry Brent gewesen, daran
gab es für den Amerikaner nicht mehr den geringsten Zweifel. Die Umstände
sprachen für sich. Nur ein Zufall hatte ihm das Leben gerettet. Die Buddhafigur
war hin, vielleicht hatte sie in dem allgemeinen Gedränge auch schon längst
jemand anders an sich genommen.
Su Hang löste sich nicht von seiner Hand. Larry zog sie
hinter sich her. Unbehelligt erreichten sie den Wagen und stiegen ein. Die
Chinesin zögerte keine Sekunde und fädelte rasch ihr Auto in den fließenden
Verkehr ein. Larry lehnte sich zurück und atmete kaum.
»Schneller, Su. Bitte biegen Sie bei der ersten
Möglichkeit in eine Seitenstraße ab.«
Eine knappe Viertelstunde führte der Weg quer durch die
Stadt. Während dieser Zeit wechselten Larry und Su Hang kaum ein Wort. Nur ein
Mal fragte X-RAY-3: »Glauben Sie, dass auch dieser Anschlag auf mich etwas mit
den Puppen zu tun hat?«
Es dauerte eine Weile, ehe die Chinesin antwortete: »Ja,
ich bin überzeugt«, und fuhr auf den geräumigen Parkplatz, der sich dem Chang Li-Hotel anschloss.
Sie stiegen aus und eilten auf das Portal zu. Ein
Zeitungsverkäufer ging vor dem Eingang auf und ab. Als Larry näher kam, ging er
ihm entgegen.
»Ein Exemplar, mein Herr?«, und streckte ihm eine
zusammengefaltete englische Zeitung entgegen. Unter normalen Umständen hätte
Larry abgelehnt, da er in Eile war. Doch bei dem ausgemachten Code, fasste er
sofort in seine Kleingeldtasche, drückte dem Verkäufer eine Münze in die Hand
und griff nach der Zeitung, die eine dringende Botschaft direkt aus dem
Hauptquartier der Psychoanalytischen Spezialabteilung enthielt.
Sie passierten die Empfangshalle, und er griff nach
seinem Schlüssel. Den Schlüssel für Iwan Kunaritschews Zimmer hatte er in
seiner Rocktasche verborgen und ihn beim Verlassen des Hotels nicht wieder an
das Brett gehängt.
Sie benutzten den Aufzug, und Larry entfaltete die
Zeitung. Ein verschlossener Umschlag war angeheftet. Er riss ihn auf, zog den
hellgrauen Bogen heraus, der aus einem Spezialpapier bestand und eine kurze
Botschaft von X-RAY-1 enthielt. X-RAY-3 erfuhr, dass die Engländer einen
weiteren Geheimdienstmann als überfällig gemeldet hatten: Rod Shanters.
Gleichzeitig hatte sich der Kontaktmann, Gun Yat, ebenfalls seit 49 Stunden
nicht wieder gemeldet. Von Gun Yat aber gab es eine Querverbindung zu Jho Fung!
X-RAY-1 wies darauf hin, dass man diesen unter keinen Umständen aus den Augen
verlieren dürfe.
Auf dem Papier waren zwei Fotos abgedruckt – Archivbilder
der beiden verschwundenen Männer. Larry prägte sich deren Konterfei ein, dann
steckte er den Bogen rasch in den Umschlag zurück, um zu verhindern, dass sich
das Spezialpapier im Aufzug entzündete. Es hatte nur eine begrenzte Lebensdauer
außerhalb des Kuverts, aber diese Zeit war so eingerichtet, dass ein Agent die
Botschaft in sich aufnehmen konnte.
Sie fuhren in das Stockwerk, in dem Iwan Kunaritschews
Zimmer lag. Larry öffnete im Flur ein Fenster, nahm den Bogen aus dem Umschlag
und ließ ihn nach draußen flattern.
Es dauerte nur wenige Sekunden, und ein dünner
Feuerstreifen leuchtete in der Luft auf. Ohne Rückstände zu hinterlassen,
verbrannte die Nachricht unter der Einwirkung des Sauerstoffs. Danach schloss
Larry die Tür zum Zimmer seines russischen Freundes auf. »So«, sagte er. Es
waren seine ersten Worte, seitdem er mit Su Hang den Lift verlassen hatte.
»Jetzt sind Sie an der Reihe, Su. Ich bin gespannt, was Sie zu der komischen
Puppe zu sagen haben!«
Er ging quer durch das Zimmer.
»Das ist doch nicht möglich«, entfuhr es ihm heiser. Er
fühlte, wie sich seine Haut fröstelnd zusammenzog. »Die Puppe hat sich
verändert!«
Es war nicht mehr die primitive Stoffpuppe, die er mit
einer Nadel in der Brust vorgefunden hatte. Auf dem Kissen saß eine Ausführung
Iwan Kunaritschews en miniature, und es schien, als hätte der Russe seine
kräftigen, vollen Lippen geöffnet, um sein obligates Towarischtsch auszusprechen.
Sekundenlang verharrte Larry wie unter einem hypnotischen
Bann und musste sich förmlich von dem Anblick der unheimlichen, lebensechten
Puppe losreißen.
»Das ist Ihr Freund, nicht wahr?«, fragte Su.
Unwillkürlich senkte sie die Stimme.
»Eine originalgetreue Nachbildung von ihm«, presste Larry
hervor.
»Jeder Zug in seinem Gesicht stimmt. Hier war jemand am
Werk, der seine Kunst
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