031 - Die Stunde der Ameisen
den Beinen. Er brüllte hilflos und wälzte sich auf die Seite, wild mit den Armen herumschlagend. Eine der geballten Fäuste schlug gegen die Kiste, die in der Mitte auseinanderbarst. Dann richtete er sich wieder auf, und Vater murmelte einige Beschwörungen, die aber das Monster nicht beruhigten. Ganz im Gegenteil, der Henker schien jetzt völlig überzuschnappen. Er rannte wie ein Verrückter durch den Keller, blieb vor einer Wand stehen und trommelte mit allen vier Fäusten dagegen. Dann schlug er mit der Stirn gegen die Wand und riß mit einer Hand den Samt in Fetzen, der sie bedeckte.
»Rasch«, sagte Vater. »Wir müssen ihn bändigen. Er ist …«
Der Hüter des Hauses griff ein. Er stellte sich vor Michael Zamis auf. Ich hörte noch immer die Todesmelodie in meinem Kopf.
»Die Störung geht von Coco aus«, sagte der Hüter des Hauses. »Sie muß weggeschafft werden. Dann wird der Henker wieder zur Besinnung kommen.«
Ich hatte Rupert Schwingers Worte nur undeutlich verstanden, da ich noch immer im Bann der Todesmelodie stand, die den Henker zum Wahnsinn zu treiben schien.
»Bringt sie aus dem Keller!« sagte Vater scharf.
Ich wehrte mich nicht, als ich von Georg und Volkart gepackt wurde. Die beiden zerrten mich die Stufen hoch und blieben in der Diele stehen. Das Sausen in meinem Kopf wurde schwächer. Ich brach halb ohnmächtig zusammen und übergab mich. Alles verschwamm vor meinen Augen, dann wurde ich ohnmächtig. Bevor es schwarz um mich wurde, ahnte ich noch, daß der Henker in dieser Sekunde wieder zur Besinnung kam.
Ich wußte nicht, wie lange ich ohne Bewußtsein gewesen war. Irgendwann warf ich mich unruhig hin und her und schlug die Augen auf. Da merkte ich, daß meine Hände auf meinen Rücken gefesselt waren. Ich saß auf einem Stuhl im Wohnzimmer und blickte an mir herunter. Nicht nur meine Hände waren gefesselt, auch die Fußgelenke. Ich räusperte mich und blickte mich um. Meine ganze Familie war im Zimmer versammelt. Der Hüter des Hauses stand neben mir und ließ mich nicht aus den Augen.
»Weshalb habt ihr mich gefesselt?«
»Weil irgend etwas mit dir nicht stimmt«, zischte Vera. »Halt den Mund!«
Ich schwieg. Mein Vater hockte vor dem großen Tisch auf dem Boden. Auf der Tischplatte stand eine halb durchsichtige magische Kugel. Von meinem Platz aus konnte ich deutlich sehen, was in ihr vorging. Ich sah den Henker, der durch die nächtlichen Straßen Wiens wankte. Einige Fußgänger kamen ihm gelegentlich entgegen. Sie sahen ihn aber nicht; für normale Menschen war der Henker unsichtbar. Er wurde von Michael Zamis geleitet, mit dem er in magischem Kontakt stand. Nach einer halben Stunde hatte er die Villa der Winkler-Forcas' erreicht. Er blieb in einer Seitengasse stehen und wartete.
»Alles ist bereit«, sagte mein Vater. »Georg, stell die Verbindung mit Skarabäus Toth her!«
Georg griff nach einer Kristallkugel und rief Toth an. Als das Gesicht des Schiedsrichters in dem gläsernen Ball erschien, hielt Georg ihn seinem Vater hin.
»Herr Toth«, sagte Michael Zamis, »in wenigen Minuten läuft die Frist ab, die uns die Familie Winkler-Forcas gestellt hat.«
»Wer sagt Ihnen, daß es die Winkler-Forcas' sind, die Ihnen …«
»Ich weiß es«, unterbrach mein Vater den Schiedsrichter. »Ich weiß, daß Sie es nicht zugeben dürfen, aber das ist nebensächlich. Richten Sie unserem Gegner aus, daß wir nicht an Kapitulation denken. Wir nehmen den Kampf auf. Wir werden alle Mitglieder des Winkler-Forcas-Clans töten. Vielleicht lassen wir aber einen am Leben, der dann berichten kann, wie es allen ergehen wird, die sich gegen die Zamis' stellen.«
»Ist das Ihr letztes Wort, Herr Zamis?«
»Unsere Familie ist noch nie einer Auseinandersetzung ausgewichen, das wissen die Winkler-Forcas' ganz genau. Auf Wiederhören, Herr Toth!« Er unterbrach die Verbindung und konzentrierte sich wieder auf den Henker, der immer noch bewegungslos in der Nähe der Forcas-Villa stand. Es dämmerte bereits.
»In wenigen Minuten läuft die Frist ab«, sagte Lydia.
»Wir sind vorbereitet«, sagte Georg. »Keinem Mitglied der Winkler-Forcas' wird es gelingen, ins Haus zu gelangen.«
Mir schnitten die Fesseln ins Fleisch. Ich wunderte mich, daß meine Familie mich mit normalen Stricken gebunden hatte. Sie wußte doch ganz genau, daß mir solche Fesseln keinerlei Schwierigkeiten bereiteten. Wenn ich gewollt hätte, wäre ich in wenigen Sekunden frei gewesen. Aber vielleicht wollten sie mich
Weitere Kostenlose Bücher