031 - Die Stunde der Ameisen
Winkler-Forcas berichten, doch ich konnte nicht sprechen; nur ein heiserer Laut kam über meine Lippen, dann war das Toben der Melodie in meinem Kopf, und ich schloß benommen die Augen.
»Was hast du?« fragte Georg.
»Ich fühle mich nicht gut«, sagte ich und lächelte schwach. Meine Wangen waren bleich. »Der Spaziergang hat mir nicht geholfen. Ich bin müde.«
»Müdigkeit können wir uns jetzt nicht leisten«, sagte Georg scharf. »Reiß dich zusammen.«
Ich nickte mit zusammengepreßten Lippen.
»Du gefällst mir gar nicht«, sagte er und fixierte mich. »Du wirkst verkrampft und nervös.«
»Das ist kein Wunder«, zischte ich. »Nicht jeder kann so kühl und beherrscht sein wie du.«
»Fürchtest du dich etwa?« Er nickte. »Das wird es sein. Du warst schon immer ein ängstliches Mädchen. Jetzt hast du Gelegenheit zu beweisen, daß du ein echtes Mitglied unserer Familie bist. Nur in Gefahrenzeiten kann man erkennen, was in jedem von uns steckt. Und ich hoffe, daß du uns nicht wieder enttäuschen und Schande über unsere Familie bringen wirst.«
»Ich werde mich bemühen«, sagte ich knapp.
Wir schwiegen, bis unser Vater und Lydia eintrafen. Michael Zamis hörte sich mit unbewegtem Gesicht unseren Bericht an. »Ihr habt recht«, sagte er dann. »Alles deutet daraufhin, daß die Winkler-Forcas' unsere Gegner sind. Aber wir werden unsere Gegenmaßnahmen treffen.«
»Was hast du vor, Vater?«
»Zuerst beschwören wir den Henker und setzen ihn auf die Fährte der Winkler-Forcas'. Gleichzeitig sichern wir das Haus. Wir verstärken die Fallen, dann warten wir ab. Wenn es dem Henker gelingt, einige der Winkler-Forcas' auszuschalten, gehen wir zum Frontalangriff über. Aber ich bin mir noch nicht ganz darüber im klaren, ob wir hier in Wien den Kampf aufnehmen oder uns zu meinem Bruder in die Abruzzen begeben sollen. Dort haben wir natürlich weitaus bessere Möglichkeiten, den Kampf erfolgreich zu bestehen. Und den Winkler-Forcas' bleibt nichts anderes übrig, als uns zu folgen. Bevor ich jedoch eine endgültige Entscheidung treffe, will ich abwarten, was der Henker erreicht.«
Es dauerte einige Zeit, bis Mutter und Vera endlich eintrafen. Die Wangen meiner Schwester glühten, als sie das Wohnzimmer betrat, und ihre Augen funkelten wie Sterne. Sie war noch mehr als eine Stunde bei den Lexas' geblieben, nachdem sie von Toni Obrecht die Information erhalten hatte, da sie keinen Verdacht hatte erregen wollen. Außerdem hatte ihr der Sabbat sehr gefallen.
»Die Winkler-Forcas' sind unsere Gegner«, verkündete sie stolz. »Mit Mutters Hilfe gelang es mir, Toni Obrecht zu behexen. Die anderen Familien werden sich angeblich neutral verhalten und in den Kampf nicht eingreifen.«
»Das ist mehr, als ich erwartet habe«, sagte mein Vater zufrieden. »Die Winkler-Forcas' müssen ihrer Sache ziemlich sicher sein, sonst hätten sie sich der Hilfe einiger anderer Sippen versichert. Sie sind demnach überzeugt, daß sie uns alle töten können. Ich frage mich nur, woher sie diese Sicherheit nehmen?«
Niemand antwortete.
Michael Zamis stand auf. »Holt Volkart! Ich gehe einstweilen in den Keller und treffe alle Vorbereitungen für die Beschwörung des Henkers.«
Wir warteten, bis er das Zimmer verlassen hatte, dann standen auch wir auf. Vera lief die Treppe hoch und holte Volkart, der noch immer geistesabwesend war. Wir blieben alle in der Diele stehen, bis wir Vaters Stimme hörten. Schweigend stiegen wir die dunkle Kellertreppe hinunter, und der Hüter des Hauses schloß sich uns an. Eine magische Flamme tauchte den Raum in blutrotes Licht. Die Wände waren mit schwarzem Samt ausgeschlagen. In einer Ecke stand die Teufelsstatue, die schon oft den Mittelpunkt von Beschwörungen gebildet hatte, heute aber nicht gebraucht wurde.
Mein Vater hatte den Henker aus einem der Nebenräume geholt. Er lag in einer sargartigen Kiste, die noch geschlossen war. Um die Kiste hatte mein Vater einen magischen Kreis gezogen. Er winkte Georg zu sich heran. Sie schraubten den Kistendeckel ab und trugen ihn in eine Ecke. Mutter, Volkart und wir drei Mädchen hielten uns im Hintergrund. Wir sahen aufmerksam zu, während der Hüter des Hauses mit dem Gesicht zur Wand hinter uns stehengeblieben war.
Vater trat noch einmal in den magischen Kreis und warf einen Blick auf den Henker, dessen Körper mit einem schwarzen Tuch bedeckt war. Dann trat er wieder heraus, bückte sich und schloß den Kreis mit einem Stück Kreide, das er aus
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