0318 - Die Zombie-Hexe von Tahiti
so sehr an dem abgeschossenen Federvieh interessiert war, aber das konnte ihnen doch egal sein. Sie würden daraus kaum Rückschlüsse auf Lydies sonstige Tätigkeiten ziehen können.
Wo war der Falke?
Da sah sie ihn. Er lebte noch, war benommen und versuchte, sich zu entfernen, als sie kam. Aber er konnte seine Flügel noch nicht so richtig gebrauchen, kam immer nur einen weiten Sprung weit.
»Du hast keine Chance, mein Lieber«, murmelte Lydie.
Sie streckte die Hand aus, um nach dem Falken zu greifen. Da hörte sie die Schritte hinter sich. Einer der Wachmänner kam heran.
»Merkwürdig, nicht wahr?« sagte er. »Ich habe einen solchen Burschen hier noch nie gesehen, Madame. Auf ganz Tahiti nicht, und auch nicht auf einer der anderen Gesellschaftsinseln.«
Sie unterdrückte die Verwünschung, die ihr eigentlich auf der Zunge lag.
»Ich möchte ihn mit ins Haus nehmen«, sagte sie. »Das schaffe ich allein.« Deutlicher wollte sie mit ihrer Aufforderung nicht mehr werden, damit der Mann nicht auf seltsame Gedanken kam. Er wandte sich schulterzuckend ab. »Wie Sie wollen, Madame«, sagte er. »Aber das Vieh wird Ihnen wegsterben. Der Kollege hat zu gut getroffen.«
»Das kann Ihnen doch egal sein«, erwiderte sie etwas grob und wandte sich wieder dem Falken zu.
Der war verschwunden.
Lydie Leclercs Augen weiteten sich. Sie versuchte zu erkennen, wo sich der Falke befand. Aber sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Dabei konnte er sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!
Sie konzentrierte sich auf den Zauber und versuchte, den Falken damit zu erwischen. Aber auch das gelang ihr nicht. Nur dort, wo er ursprünglich gelegen hatte, war ein kleiner Blutfleck. Er bewies, daß der Falke wirklich hier gewesen war und daß der Wachmann ihn vom Fenster aus getroffen hatte. Aber es gab dann keine Blutspuren, die weiter führten. Nirgendwo.
Lydie wußte, daß sie sich zu auffällig verhielt, wenn sie jetzt anfing, die ganze Gegend systematisch abzusuchen. Sié mußte darauf verzichten, nach dem Vogel zu suchen. Statt dessen konnte sie vielleicht wieder nach Zamorra sehen. Dabei war sie ja gestört worden.
Nachdenklich ging sie in die Villa zurück.
***
»Rao-Toa«, sagte die lautlose Stimme in seinem Innern.
Der Vogel zuckte heftig zusammen. »Alter? Meister?«
Auch er konnte jetzt nur mit seinen Gedanken sprechen. Der Vogel war unfähig, Worte in menschlicher Sprache zu formen. Aber die gedankliche Verständigung war möglich.
»Gib deine Rachewünsche auf«, bat der Alte. »Ich habe dich vor dem Tode bewahrt, du Narr. Die Hexe hätte dich getötet, und du hättest dich nicht einmal wehren können.«
»Du also warst das«, erkannte Rao-Toa überrascht. »Und ich dachte schon, diese Bestie in Menschengestalt sei anderen Sinnes geworden.«
»Ich habe dich ihrer Wahrnehmung entrückt«, teilte ihm der Geist des Alten aus den Jenseitssphären mit. »Doch nun bist du wieder sichtbar. Und du bist verletzt. Du mußt deinen Körper erreichen, ehe der Vogel stirbt. Noch einmal kann ich dir nicht helfen. Den Weg zurück zu deinem Haus mußt du allein schaffen. Ich kann auch deine Verletzung nicht heilen. Seit meinem Tod sind meine Fähigkeiten eingegrenzt.«
»Aber du kannst mit mir sprechen.«
»Ich kann noch sehr viel. Ich kann mehr als die Hexe und du zusammen, aber auch für mich gibt es Grenzen.«
»Warum geifst du die Hexe nicht direkt an? Oder gib mir die Macht, und ich werde sie unschädlich machen, diese Mörderin.«
»Du denkst ja noch immer an Mord, Blut und Rache«, klagte der Geist des Alten. »Doch warum kannst du nicht begreifen, daß das nicht gut ist? Ich will es nicht. Ich werde nur dann Frieden finden, wenn du von deinem unseligen Vorhaben abläßt. Denn du liegst mir am Herzen. Ich mag dich, Rao-Toa. Aber du gehst den Weg des Verderbens. Du tötest deine Seele, wenn du die Hexe tötest. Ich werde davon nicht wieder lebendig.«
»Hilf mir, oder laß es«, murrte Rao-Toa.
Da zog sich der Alte wieder zurück. Rao-Toa war mit seinen Gedanken wieder im Vogelkörper allein. Von der schwarzhaarigen Hexe war nichts mehr zu sehen, sie war längst schon in die Villa zurückgekehrt.
Die Schußwunde schmerzte, und der Schmerz wurde von Minute zu Minute stärker. Rao-Toa wußte, daß der Vogel sterben würde. Dann durfte er nicht mehr in dem Körper des Falken sein.
Er mußte also schleunigst zurück.
Er versuchte wieder zu fliegen. Diesmal gelang es; er war wieder besser bei Kräften als zuvor. Und
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