0318 - Die Zombie-Hexe von Tahiti
vielleicht gab ihm auch der Alte aus dem Jenseitsreich etwas mit, das ihm half, das ihn stärkte.
Er flog.
Aber er war langsam, denn der Schmerz wurde um so stärker, je schneller er sich bewegte. Der Tod saß im Körper des Falken und streckte seine Krallen aus.
Für Rao-Toa wurde es ein Wettflug gegen die Zeit. Und noch lange vor Erreichen seiner Behausung merkte er die Erschöpfung.
Würde er es überhaupt noch schaffen?
Er war sich da nicht mehr so sicher, und er verfluchte seinen Leichtsinn, der ihn einfach als Vogel zu der Hexe gebracht hatte. Er hätte sich denken müssen, daß es nicht so einfach ging. Er mußte sie außerhalb ihres Hauses erwischen…
Aber zuerst mußte er überleben!
***
Zamorra räumte das Zimmer fast völlig frei und rollte den Teppich zur Seite. Er mußte Kreidezeichen auf dem Boden anbringen und wollte den Teppich nicht unbedingt in Mitleidenschaft ziehen. Das konnte man ihm möglicherweise übel ankreiden. Und Teppiche sind auch auf Tahiti teuer, mal ganz abgesehen davon, daß es im Hotel vielleicht nicht gern gesehen wurde, wenn hier magische Praktiken ausgeübt wurden.
Zamorra malte einen Drudenfuß auf den Boden, zog einen Kreis darum und brachte in den entstandenen Feldern und außen um den Kreis herum Bann- und Schutzzeichen an. Dann entkleidete er sich und trat in den innersten Zirkel. Nichts durfte seine Kraft stören und hemmen. Nur das Amulett, Merlins Stern, behielt er bei sich. Er berührte damit jede der fünf Zackenspitzen des Pentagramms und zog den Kreis nach.
Unter normalen Umständen wäre die Prodedur einfacher gewesen. Aber hier wußte er zu wenig über die Kräfte der Hexe, und er besaß nichts, womit er sie bannen konnte. Er hatte also keinen richtigen Angriffspunkt. Ein Fingernagel, eine Haarsträhne, sogar ein Kleidungsfetzen hätten schon ausgereicht, um eine Verbindung entstehen zu lassen. Aber er besaß nichts dergleichen. So mußte er die magische Kraft in voller Stärke aus sich heraus wirken lassen. Dazu bedurfte es der umfangreichen Vorbereitungen.
Zamorra zitierte einen längeren Text aus einem Zauberbuch, und je mehr der für die meisten Menschen unverständlichen Wörter der uralten magischen Sprache er in der richtigen Betonung aneinander reihte, desto stärker wurde das Kraftfeld, in dem er sich befand. Dieses Verfahren setzte er ebenfalls nur äußerst selten ein, aber hier ging es nicht anders.
Es barg das Risiko in sich, daß ein winziger Fehler in der Aussprache oder im Text bereits zu einer Katastrophe führen konnte. Die magische Kraft, die sich jetzt bildete, würde auf den Meister des Übersinnlichen selbst Zurückschlagen und ihn vielleicht sogar vernichten, auf jeden Fall aber schwer beeinträchtigen.
Zamorra konzentrierte sich auf die Zauberworte. Allein deshalb schon brauchte er die absolute Ruhe, durfte keine Ablenkung um sich herum dulden.
Nach einer Weile begann seine Haut zu kribbeln. Da wußte er, daß die Kraft wartete. Das Amulett leuchtete hell und zeigte an, daß es ebenfalls bereit war, von seinem Besitzer eingesetzt zu werden und die Kraft zu lenken. Und auch das Amulett selbst würde weitere Energien aus sich heraus hinzufügen.
Im Schneidersitz hatte Zamorra sich im innersten Kreis im Pentagramm niedergelassen und hielt jetzt Merlins Stern zwischen den Händen. Die handtellergroße Scheibe, die silbern leuchtete und mit seltsamen Symbolen und unentzifferbaren Schriftzeichen bedeckt war, leuchtete stärker. Im Mittelpunkt befand sich ein kleiner Drudenfuß, der jetzt grün zu leuchten begann und verwaschene Bilder zeigte wie ein winziger Fernsehschirm. Dieser Drudenfuß ersetzte die magische Kugel, die von Hellsehern benutzt wurde.
Zamorra konzentrierte sich auf Lydie Leclerc. Sie wollte er im Drudenfuß sehen, um Magie gegen sie einsetzen zu können.
Er bewegte sich dabei auf einem haarfeinen Grat zwischen Weißer und Schwarzer Magie, denn was er vorhatte, war nichts anderes als die Durchführung eines Schadzaubers. Wenn er es schaffte, die Hexe in seinen Bann zu zwingen, ihr seinen Willen aufzuoktroyieren, dann hatte das mit Weißer Magie nicht mehr sonderlich viel zu tun. Aber anders würde er sie kaum unter seine Kontrolle bekommen.
Auch wenn er es schaffte, würde es noch schwer fallen, sie zu einem Geständnis zu bringen. Denn sie würde ebenso gegen ihn ankämpfen, und er konnte nicht tagelang im Zauberkreis verharren und die Hexe mit seinem magischen Bann belegen.
»Lydie Leclerc, ich sehe dich«,
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