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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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bewahren.
    Caiys litt manchmal gewaltig darunter, auch wenn sie zu diesem Leben geboren war.
    Wie würde die in der Stadt aufgewachsene Ann eine Winternacht im Freien ertragen?
    Diese Beschwernisse waren nicht der einzige Grund, warum Carys den Mund hielt.
    Es war sehr gut möglich, dass Deri keinen Gefallen an Ann fand. Sie hielt das Mädchen, das große dunkle Augen, eine kecke Nase und einen breiten Mund hatte, eher für hübsch als unansehnlich, aber vielleicht wollte Deri keine zwergenhafte Frau haben. Seine erste Frau war normal gewachsen gewesen, wie Ca-rys wusste. Und nun, nachdem sie sich Ann genauer angeschaut hatte, war ihr aufgefallen, dass die Gliedmaßen des Mädchens nicht richtig zum kindlichen Körper passten. Schlimmer noch, das Gesicht der jungen Frau war unnatürlich und würde mit zunehmendem Alter noch unnatürlicher werden. Falls Deri wie diese Zwerge war, die ihresgleichen mieden, dann würde er Ann nicht haben wollen.
    Das, was Carys im Sinn hatte, war, Ann im Allgemeinen vor Schaustellern zu warnen und dennoch die Möglichkeit offen zu lassen, dass das Mädchen sich Deri, Telor und ihr anschließen konnte, falls Deri einverstanden war und man Anns Vater überreden konnte. „Ich war Schauspielerin", sagte sie bedächtig. „Ich könnte dir eine lange, traurige Geschichte erzählen, die damit endet, dass von unserer Truppe nur der Anführer und ich übrig blieben. Wir sind versehentlich in eine soeben eingenommene Burg gegangen, um dort aufzutreten. Ulric wurde getötet, und die Soldaten -ungefähr zwanzig oder dreißig - glaubten, sie könnten sich mit mir vergnügen, und zwar alle gleichzeitig. Aber ich bin Seiltänzerin, und ich weiß, wie ich klettern und mich fallen lassen muss. Daher bin ich ihnen entkommen. Telor und Deri haben mich halb tot auf der Straße aufgelesen. Ich kann dir nicht sagen, welche Freundlichkeit sie mir bewiesen haben - und dafür habe ich nicht mit meinem Körper gezahlt", fügte Carys scharf hinzu.
    „Es tut mir Leid." Ann wandte den Blick ab, errötete und sagte dann: „Selbst wenn du das getan hättest, wäre es keine Plage gewesen."
    „Für mich wäre es das gewesen", erwiderte Carys schroff und rührte wieder heftig im Topf.
    Sie begriff jedoch Anns Sehnsucht, die körperliche Liebe zu erleben, und war dem Mädchen nicht böse. Dennoch konnte sie ohne Deris Einverständnis nicht mehr zu diesem Thema sagen. Daher dachte sie daran, Ann zu bitten, ihr ein Geschäft zu nennen, wo sie Kleidung kaufen könne. Schon im Begriff, das zu tun, hörte sie eine Stimme von der Tür her brüllen: „Du! Du dreckiger Männerliebhaber! Was schnüffelst du hier um meine Tochter herum?"
    „Nein, Papa", rief Ann aus und rannte zu ihm. „Das ist ein Mädchen, kein Junge."
    „Närrin!" schrie der Koch, hielt jedoch inne, als Carys lachte.
    „Ja, ich bin wirklich eine Frau, guter Mann. Wenn wir unterwegs sind, verkleide ich mich aus Sicherheitsgründen als Junge." Sie hatte mit ihrer natürlichen Stimme gesprochen, und unsicher furchte der Wirt die Stirn. „Telor und Deri, meine Freunde, sind auch keine Soldaten. Wir sind hergekommen, weil es etwas bei Lord William of Glou-cester zu erledigen galt, und meine Freunde haben sich zur Sicherheit als Soldaten verkleidet." Das war die reine Wahrheit, wenngleich dadurch ein falscher Eindruck entstand, und daher hatte Carys diese Erklärung in leichtem, selbstsicherem und etwas belustigtem Ton abgegeben.
    „Ach, ja?" Die Stimme des Mannes hatte unsicher und gleichzeitig eindeutig ungläubig geklungen. „Wohin ist dein Freund dann heute in aller Frühe und in solcher Eile gegangen, dass er nicht einmal die Zeit zum Frühstücken hatte? Ich wollte mit ihm reden." Der letzte Satz, der zunächst in verärgertem Ton begonnen worden war, hatte dann einen zweifelnden Unterton bekommen. Der Wirt war darauf eingestellt gewesen, einen Mann, der Jungen liebte, und dessen männliche Hure aus dem Haus zu jagen, nur um dann festgestellt zu haben, dass der „Junge"
    eine Frau war.
    Carys schenkte ihm ein sonniges Lächeln. „Telor ist zu Lord Williams Unterkunft gegangen, und du kannst, falls du mir nicht glaubst, auch dort hingehen oder einen Boten zu ihm schicken, der ihn befragt. Er hat die Anweisung, täglich in der Frühe sich dort einzufinden. Ich nehme an, dass er da mit dem Rest des Haushaltes gefrühstückt hat." Wieder lächelte Carys. „Ich nehme an, dass ich tatsächlich um deine Tochter herumgeschnüffelt habe, aber mein Herz

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