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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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Risse im Rock waren absichtlich so gemacht worden, damit sie Beinfreiheit hatte, wenn sie sich auf dem Seil befand, und auf diese Weise verführerische Blicke auf ihre Beine erlaubt wurden. Das zerrissene Rückenteil war ein Problem. Nach einiger Überlegung schnitt sie die zerfransten Ränder mit dem Dolch ab, so dass größere, aber glattrandigere Löcher entstanden. Nun war nicht mehr viel vom Rückenteil übrig, doch der Rest genügte, um das Vorderteil zu halten. Sie hatte nichts dagegen, dass man ihr Unterhemd sah. Wenn es zum Schlimmsten kam, dann konnte sie das Mieder ganz vom Rock abtrennen und zu einer Art Schal machen, der das Unterhemd verbarg.
    Der Hof war so leer und ruhig, dass sie die Gelegenheit nutzte und Unterhemd und Kleid über einen Pfahl in der Nähe des Brunnens hängte, damit die Sachen in der Sonne trockneten. Falls man sie des Kleides wegen fragen sollte, konnte sie sagen, der Zwerg habe ihr aufgetragen, es zu waschen.
    Dann schaute sie sich im Hof um. Nach wie vor war niemand in Sicht. Sie konnte sich damit beschäftigen, herauszufinden, ob ihr Fußgelenk kräftig genug war, um auf dem Seil arbeiten zu können - ohne dass Telor oder Deri wussten, dass sie das versucht hatte. Deri hatte am ersten Tag in Castle Combe angedeutet, er erwarte, dass sie sich einer der Schaustellertruppen anschließen werde. Daher wollte sie sich an den Vorwand klammern, noch nicht dazu bereit zu sein, falls sie feststellen sollte, dass sie es doch nicht ertragen könne, Telor und Deri zu verlassen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Das war dumm. Dumm! Wenn sie bei Telor blieb, würde sie bestimmt einen Fehler begehen, den er als Aufforderung verstand. Was sollte sie dann tun?
    Sie sprang auf die oberste Latte des Zauns, der von einer Ecke der Scheune zur Außenwand verlief und so einen großen Pferch bildete, in dem einige Pferde gehalten wurden. Zuerst lief sie darüber, um die Schwankung festzustellen. Ihr Fußgelenk war in Ordnung, doch sie verzog das Gesicht, als sie ihre Darbietung zu üben begann. Das war viel zu leicht. Die Zaunlatte schwankte nicht unter ihr oder senkte sich unter ihren Füßen. Außerdem war sie breiter als ein Seil.
    Dennoch machte sie die ganze Übung und wiederholte sie mehrmals. Sie war so konzentriert, dass sie die drei Zuschauer nicht bemerkte, bis Joris der Jongleur ihr zurief: „Tust du das auf einem Seil?"
    Wenngleich sie erschrak, fiel sie nicht herunter. Sie starrte den Akteur an. „Auf einem gespannten Seil mache ich alles. Auf einem schlaffen kann ich den Handstand noch nicht machen. Daher tanze ich mehr und beende meine Darbietung mit der Drehung. Aber eines Tages werde ich alles schaffen, auf einem schlaffen oder einem straffen Seil.
    Und es gibt noch andere Kunststücke, die mir vorschweben, aber ..."
    „Wie hoch?" fragte Joris.
    „So hoch, wie man eine Stelle finden kann, an der sich ein Seil befestigen lässt", antwortete Carys spitz.
    „Wie oft?"
    Sie zuckte mit den Schultern und sprang vom Zaun. „Ein Mal vor dem Abendessen, ein mal danach und noch zwei Mal. Nach dem Dunkelwerden tanze ich nicht. Das hat keinen Sinn. Wenn das Seil zu tief gespannt ist, um von Fackeln beleuchtet zu werden, hat das für die Zuschauer keinen Reiz. Aber ich bin eine gute Schauspielerin. Ich kann einen Jungen darstellen oder eine vornehme Dame. Zeig mir einen Menschen, und ich imitiere ihn."
    Joris nickte bedächtig. „Ich erinnere mich, dass du dich anders ausgedrückt hast, als du mit dem Zwerg bei uns warst."
    „Ich habe wie er geredet", bestätigte sie.
    Ihr Blick weilte jedoch nicht auf Joris. Sie sah einem der anderen Männer hinterher, der ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, weil er sich langsam auf den Teil des Hofes zubewegte, der näher beim Wohnturm war und an den Burggarten grenzte, wo die schönsten und kostbarsten Pavillons der Hochzeitsgäste standen. Er versuchte nicht, ihrer Aufmerksamkeit zu entrinnen. Ihm kam nie der Gedanke, sie könne etwas gegen seine Absicht haben. Er war nur vorsichtig, falls jemand anderer ihn beobachten sollte. Aber Carys war seine Absicht nicht gleich.
    „Du da!" rief sie ihm zu und bewegte sich in seine Richtung, stellte sich jedoch in die Nähe der offenen Scheunentür. „Was machst du hier im oberen Hof? Wieso gehst du zu den Zelten der Herren? Wenn ihr nicht sofort weggeht, alle miteinander, dann erzähle ich die Sache dem Diener des Barden."
    „Was geht dich die Sache an?" knurrte Joris und griff nach Carys.
    Sie hatte jedoch

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