0320 - Der Fluch von Babylon
wurden sie.
Ein Phänomen.
Mir rann es kalt über den Rücken. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich konnte praktisch zusehen, wie die Kraft des Götzen Baal meinem Dolch die Magie nahm.
Ich rutschte von der Altarplatte und ging einige Schritte vor. Nicht einmal Schwindel packte mich, ich hatte diese seltsame Umwandlung gut überstanden.
Da ich doch nichts mehr erreichen konnte, steckte ich den Dolch wieder weg und konzentrierte mich zunächst einmal auf meine neue, für mich sehr fremde Umgebung.
Dieses kleine Tal, in dem ich mich befand, war von hohen Felsen umgeben. Sie stiegen steil in einen sonnendurchglühten Himmel und spendeten gleichzeitig Schatten und Kühle.
In der letzten Zeit mußte es ein leichtes Erdbeben gegeben haben, anders konnte ich mir die herabgefallenen Gesteinsmassen, die überall verteilt lagen, nicht erklären.
Der Altar war seltsamerweise verschont worden, aber nicht die Menschen, die sich außer mir noch im Talkessel aufgehalten hatten.
Ich sah sie unter den Massen liegen.
Von manchen nur mehr ein Bein. An anderer Stelle schaute noch ein Arm hervor oder eine zur Faust geballte Hand. Zudem sah ich die Trümmer eines Holzgefährts. Wahrscheinlich war es ein Karren gewesen.
Ich schüttelte den Kopf. Eine Erklärung für dieses Phänomen besaß ich nicht.
Aber hier mußte etwas Schreckliches vor sich gegangen sein, und es mußte mit mir zusammenhängen.
Auf einem Stein ließ ich mich nieder und dachte nach.
Was war passiert, als ich noch nicht hier auf dem Altar gelegen hatte?
Wo hatte ich mich befunden? Wo war der Körper gewesen und wo mein Geist? War beides auseinandergerissen worden oder zusammen in einer magischen Sphäre geblieben?
Allmählich nur kristallisierte sich etwas hervor. Sehr weit hinten im Kasten meiner Erinnerungen blitzte es auf, und mir fiel plötzlich ein Name ein.
Torkan!
Zunächst wußte ich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es gab keine Verbindung. Dann versuchte ich es, wie in der Schule gelernt, und sprach den Namen ein paarmal leise vor mich hin.
»Torkan, Torkan…«
Da hatte ich es plötzlich.
Torkan war ich gewesen. Ohne den Sinclair-Körper, sondern nur mit meinem Geist, der die Erinnerung gespeichert hatte und die einzelnen Informationen jetzt freigab.
Ich, John Sinclair, war Torkan gewesen!
Ein Phänomen. Unbeschreiblich auf gewisse Art und Weise, aber dennoch existent.
Puh, das mußte verkraftet werden.
Teil für Teil kehrte die Erinnerung zurück und setzte sich zu einem Mosaik zusammen, das allmählich ein Bild ergab. Ein Bild aus der Vergangenheit, die ich als Torkan erlebt hatte.
Und gleichzeitig auch als John Sinclair, denn mein Geist war in diese biblische Gestalt hineingefahren. Genau, das war es. Biblische Vergangenheit.
Ich verbannte mein Leben als Torkan aus meinem Gehirn und begann nachzudenken.
Was wußte ich aus dem Alten Testament über diese Vergangenheit?
Was war Wahrheit, was waren Legenden, die man sich an Lagerfeuern erzählt hatte?
Baal!
An diesen Namen mußte ich mich halten. Er war im Alten Testament so etwas wie ein Obergötze gewesen. Eine schaurige Erscheinung, ein Zerrbild, das die Menschen anbeteten, die von ihrem wahren Gott Jehovah abgekehrt waren.
Sie hatten das Goldene Kalb umtanzt und dabei nach Baal geschrieen.
Aus dem Hebräischen stammte dieser Name. Manche nannten ihn auch Bei. Andere wiederum sagten Andonai oder Adon. Er war der Hauptgott der Kannaiter gewesen. Besonders wurde er bei den Babyloniern verehrt. Am Tempel des großen Salomon soll es eine Säule gegeben haben, die allein Baal geweiht war.
Er war ein Götze und hatte sich gleichstellen wollen mit Jehovah.
Die meisten jedoch folgten Jehovah, wenige nur Baal. Sie dienten fortan dem Bösen.
Bei einem Wort hakte ich ein.
Babylonier.
Baal war von diesem Volk verehrt worden. Und der Prophet Hesekiel war in die babylonische Gefangenschaft geraten, wo er mein Kreuz hergestellt hatte.
Genau dieses Kreuz, das ich bei mir trug, und das die Zeichen des Guten aufwies.
Hesekiel war Baals Feind, ebenso wie er ein Feind der Babylonier gewesen war. Konnte es dann sein, daß es dennoch zwischen dem Kreuz und dem Dolch eine Verbindung gab?
Vielleicht hatte der Dolch gar nicht zur Seite des Guten gezählt.
Baal wollte ihn zurückhaben, um ihn möglicherweise gegen das Kreuz einzusetzen.
Ein fantastischer, aber meiner Ansicht nach nicht zu weit hergeholter Gedanke.
Ich bekam plötzlich Angst vor meinem eigenen Gedanken und
Weitere Kostenlose Bücher