0322 - Das Fratzengesicht
es mit einer zweiten Kugel versuchen und hoffte, dem Schrecken ein Ende bereiten zu können.
Da geschah etwas, womit ich selbst nicht gerechnet hatte. Das Monstrum knickte ein. Und zwar an der Seite, die skelettiert worden war. Die Knochen besaßen nicht mehr die Härte, um das Gewicht zu halten. Die Kniescheibe bog sich durch, ich hörte ein Splittern und sah im nächsten Augenblick, wie der untere Teil des Beins wegbrach.
»Freu dich nicht zu früh!« keuchte das Monstrum. »Freu dich nicht zu früh…«
Er ging weiter.
Schnurstracks, aber auf einem Bein humpelnd. Er hatte Mühe, überhaupt das Gleichgewicht zu halten. Der Knochen des ehemaligen Oberschenkels schwang bei der Bewegung auf und nieder, wobei er zu schwer wurde und abfiel.
Mit einem klappernden Geräusch fiel er zu Boden, rutschte weiter und blieb dicht vor meinen Fußspitzen liegen. Ich trat dagegen, so daß der Knochen in die Ecke geschleudert wurde.
Dann kippte das Gesicht.
Es sah für mich wirklich so aus, denn die rechte Hälfte fiel von der anderen ab, prallte auf die Erde und zerbrach in zahlreiche Splitter, die, wie auch die anderen Knochen, zu Staub wurden.
Das war die Vampir-Erlösung!
Die klassische, wohlgemerkt!
Ich atmete auf, denn es beruhigte mich irgendwie, daß die Regeln auch in dieser anderen Magie und in diesem fremden Land irgendwo ihre Gültigkeit besaßen.
Die Gestalt besaß nur mehr einen halben Kopf und den Oberkörper bis zur Hüfte, der sich Sekunden später ebenfalls von dem anderen, noch normalen Körper löste.
Wieder klapperten Knochen zu Boden, zersplitterten, wurden zu kleinen Stücken und schließlich zu Staub.
Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes nur mehr einen halben Gegner vor mir.
Die Hälfte eines Menschen! Das mußte man sich mal vorstellen.
Nur ein Bein, nur ein Arm, ein halbes Gesicht, ein Auge, das mich böse anstarrte.
Allmählich wurde mir die Kehle eng. Daß wieder ein Zug über uns vorbeifuhr, bekam ich nur am Rande mit. Mich interessierte allein das Monstrum. Dort, wo die beiden Körperhälften einmal zusammengewachsen waren, sah ich kein Blut, keine Knochenteile, überhaupt nichts, nur eine glatte, nahtlose Stelle.
Auch mir war der Schweiß auf das Gesicht getreten, und als die halbe Gestalt zuschlug, ging ich in den Schlag hinein, hielt ihren linken Arm fest und hebelte sie zu Boden.
Schwer schlug sie auf.
Für einen Moment blieb sie liegen. Ich ließ sie in die Mündung der Beretta blicken.
»Wenn ich abdrücke, schieße ich dir die Kugel in den restlichen Kopf und zerstöre dich!« versprach ich ihm.
Als Antwort schallte mir ein Lachen entgegen. »Wie willst du das schaffen?«
»Nichts leichter als das.«
»Ja, du kannst es versuchen!« hechelte er mit der Hälfte seines Mundes. »Du kannst alles versuchen. Vielleicht vernichtest du mich. Vielleicht sogar…«
»Bestimmt!«
»Ich wäre da nicht so sicher, denn die Falle ist gestellt. Du entkommst uns trotzdem nicht. Das Vampir-Theater und das Fratzengesicht warten auf dich. Doch nicht nur auf dich allein. Die anderen sind schon langst dort!«
Der letzte Satz fuhr mir in die Glieder. Und zwar so stark, daß ich den Finger vom Drücker nahm. »Wie meinst du das?« fragte ich meinen Gegner, obwohl ich die Wahrheit ahnte.
»Wir haben sie«, gab er flüsternd zurück. »Du hast wirklich keine Chance. Deine Freunde befinden sich in unserer Gewalt. Kannst du dir das vorstellen? Deine Freunde!«
Er freute sich diebisch, mir diese Tatsache unter die Weste geschoben zu haben. Ich sah seine linke Mundhälfte zu einem bösen Grinsen verzogen. Sogar Speichelbläschen sprühten an der Ecke.
»Sag mir, wo sie versteckt sind!« forderte ich. »Sag es mir, verdammt noch mal!«
Sein Lachen klang höhnisch. Er wußte, daß ich unter Streß stand, und er weidete sich daran.
»Willst du sie sehen?«
»Ja.«
»Ich kann dich zu ihnen führen!«
Einen Moment lang zögerte ich. Es war irre, Wahnsinn, aber er kannte sich hier aus, und ich wollte so rasch wie möglich dorthin, wo man Shao, Susan und Suko gefangenhielt.
So kam es dann, daß ich wenig später zusammen mit einem halben Menschen den Weg ging, der mich zu meinen Freunden führen sollte…
***
Piau-Tu hatte den Befehl genau vernommen. Und was das Fratzengesicht sagte, war für ihn ein Dogma. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, sich zu weigern.
Sein Meister hatte von einer gefährlichen Waffe gesprochen, die der Bewußtlose bei sich trug. Ein Erbe Buddhas. Und dieser Buddha
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