0322 - Das Fratzengesicht
drehte sich der Mann um. Er tat es langsam, blieb dabei in einer knienden Haltung, und seine Augen weiteten sich, als er erkannte, was sich dort tat.
Nebel war entstanden!
Blaugraue Wolken. Sie schoben sich wie gewaltige Räder voran und drangen in den Raum ein, in dem sich der Chinese mit den drei Bewußtlosen aufhielt.
Der Nebel war der Vorbote des Dämons. Das wußte der Chinese auch.
Deshalb sprang er in die Höhe und blieb zitternd neben der dunkelhaarigen Frau stehen.
Schon hörte er die Stimme. »Was hast du von ihr gewollt, Piau-Tu?«
»Ich… Ich …« Er holte tief Luft. »Also, ich wollte … Ich habe sie doch geholt.«
»Du wolltest mit deinen Fingern an ihren Körper!« Die Stimme aus dem Nebel klang nicht drohend. Er hörte sich an wie eine Feststellung, und der andere konnte nichts dagegen unternehmen. Er nickte heftig.
»Weshalb?«
»Ich… Ich kannte sie von früher. Ich habe sie als blutjunges Mädchen gesehen, da wies sie mich ab. Das war noch vor der Zeit, als ich dein Diener wurde.«
»Du läßt die Finger von ihr. Diese drei gehören mir. Hast du verstanden? Allein mir!«
»Ja, Herr!« Piau-Tu verbeugte sich. Er bewies dem anderen, in welch einer demutsvollen Beziehung er zu ihm stand. Anschließend schritt er zurück, bis er die Wand in seinem Rücken spürte. Dieser Mann, der sich auf der Fahrt so sicher gegeben hatte, war plötzlich klein geworden. Der Nebel war nur der Anfang. Er schützte genau den, auf den es ankam.
Das Fratzengesicht!
Und der Dämon kam. Innerhalb der dichten Nebelwolke war er zu sehen. Zuerst nur als Schatten, als ein Schemen in Farbe, dann für Piau-Tu besser zu erkennen.
Der Januskopf erschien!
Er bewegte sich, obwohl er keine Beine besaß. Er schwebte über dem Boden, wallte und rollte innerhalb der Nebelschleier und schälte sich nur allmählich deutlicher hervor.
Vampir und Mensch waren hier eine Verbindung eingegangen, die einen Kopf bildeten.
Eben das Fratzengesicht!
Es hatte sich gedreht. Nun wurde Piau-Tu von dem chinesischen Gesicht angeschaut. Es war breitflächig. Am Ende der hohen Stirn wuchsen rötlich schimmernde Haare, während der Oberlippenbart wie eine geflochtene Kordel wirkte.
Das Gesicht war böse. Ebenso der Blick. In den Pupillen stand der nackte Wahnsinn oder die brutale Gewalt.
Piau-Tu rang die Hände. Er ahnte Schreckliches. Vielleicht hatte er sich falsch verhalten. Wenn ja, würde ihn das Fratzengesicht eiskalt vernichten.
»Bitte, ich… Ich …«
Das Fratzengesicht kümmerte sich nicht um sein Jammern. Statt dessen wurde Piau-Tu gefragt: »Sind das deine drei Opfer, die du mir hattest bringen sollen?«
»Ja, das sind sie!«
Das Fratzengesicht rollte näher. Jede Bewegung lief lautlos ab. Es entstand nicht das geringste Geräusch. Wie ein großer Ballon füllte das Gesicht den Raum.
Piau-Tu wußte, daß es sich verändern konnte. Mal groß, dann wieder klein. Es spielte mit den Kräften, mit der Natur. Es war da, und allein sein Anblick brachte den meisten Menschen das Zittern.
Auch Piau-Tu reagierte so. Er wagte kaum, Luft zu holen. Zu stark waren die Fesseln der Furcht.
Noch hatte er nur die eine Seite gesehen, die andere befand sich auf dem Rücken. Doch Piau-Tu wußte, wie schrecklich der Anblick der Vampirfratze war. Er hatte sie mehr als einmal angeschaut und glaubte daran, daß er irgend etwas falsch gemacht hatte. Er kam sich wie ein Lehrling vor, der zu seinem Chef geht.
Das schlechte Gewissen stand ihm im Gesicht geschrieben!
Und dann passierte es!
Nie hatte Piau-Tu einen wütenderen und wilderen Schrei als in den folgenden Sekunden gehört. Das Fratzengesicht hatte ihn ausgestoßen.
Und dieser Schrei des Zorns, der Wut und des Hasses brach sämtliche Rekorde. Er peitschte durch den Raum, hallte als schauriges Echo von den Wänden zurück und wurde zu einem furiosen Wirbel aus schrillen Lauten, die in den Ohren des Mannes gellten.
Dann verstummte er.
Stille…
Piau-Tu hatte sich zusammengedrückt, als der Schrei aufgeklungen war. Jetzt beugte er seinen Körper wieder hoch, überwand seine eigene Angst und schaute das Fratzengesicht direkt an.
Die chinesische Hälfte hatte sich verzogen. Sie war zu einer furchtbaren Grimasse geworden. Kein Grinsen oder Lächeln entstellte es, sondern ein verzerrter Zug der kalten Wut. Vielleicht auch Furcht oder Angst? Bald glaubte Piau-Tu daran, daß es Angst war, die er in den Zügen des Fratzengesichts las.
Aber wovor? Vor wem?
Die Erklärung bekam Piau-Tu
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