033 - Das vertauschte Gehirn
auch dieses Magazin leer geschossen ist. Erst dann blicke ich wieder zum Fenster. Schlaff hängt der Körper des Kindes nach innen. Plötzlich geht etwas mit ihm vor, das mich entsetzt aufschreien läßt. Das Haar verfärbt sich und fällt dann wie faules Stroh vom Schädel. Für Sekunden quillt der Körper auf, verformt sich und hängt dann schlaff als knochiges Skelett in den Raum herein.
Ich stehe erstarrt da, von Grauen gepackt und fühle mich wie tot. Sollen sie jetzt kommen! Sollen sie mich töten, mir das Blut aussaugen, es ist mir gleich. Zu viel Schreckliches habe ich in diesen letzten Minuten erlebt und gesehen. Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende und nahe daran wahnsinnig zu werden.
Oder vielleicht bin ich es schon.
Die Wand, an der ich lehne, ist kühl und feucht. Die Nässe dringt durch die Jacke, kriecht mir über den Rücken wie die Finger eines Toten.
Ich lausche. Stille, Ruhe. Sie sind fort. Ich habe die Wesen besiegt.
Und dann beginne ich zu weinen. Still und lautlos, wie ein kleines Kind.
Gegen acht Uhr reißt mich ein heller, klagender Schrei aus dem Schlaf. Ich fahre in die Höhe, umklammere die Maschinenpistole und springe zum Fenster: Eine etwa dreißigjährige Frau in schwarzen Kleidern steht wie angewurzelt auf dem Weg. Sie hat den Mund weit aufgerissen und schreit laut. Auch mich packt wieder das Grauen. Jetzt, im fahlen Dämmerlicht des aufkommenden Morgens, kann man deutlich die leblosen Skelette erkennen, die verstreut auf dem Gelände herumliegen. Gekrümmt wie sterbende Würmer liegen sie da. Zerbrochen liegen einzelne bleiche Knochen entfernt von den Körpern. Aber eins erkennt man deutlich. Sie alle liegen in Richtung der Familiengruft, wo immer noch das Skelett des Kindes am Fenster hängt. Ich stoße es vom Fenstersims nach draußen, und es fällt klappernd zu Boden. Die Frau schreit noch einmal gellend auf und rennt wie von Furien gehetzt den Weg zum Friedhofseingang zurück.
Gleich wird die Hölle hier los sein. Ihr Geschrei wird eine Menge Leute herbeilocken und ein paar Mutige sind bestimmt darunter, denen es auffällt, das alle diese Wesen vor ihrem Dahinsterben auf die kleine Familiengrabkammer zu gekrochen sind. Man wird nachschauen, vielleicht die Tür aufbrechen. Ich muß schleunigst verschwinden.
Mit ein paar Handgriffen rolle ich die Decke zusammen, die Lebensmittel und verstecke sie hinter einem kleinen Betbänkchen, das ich in eine Ecke schiebe. Noch einmal schaue ich mich um. Die Patronenhülsen! Es ist eine Mordsarbeit, aber nach ein paar Minuten habe ich sie bis auf die letzte zusammengeklaubt und in die Tasche gesteckt.
Stimmen werden draußen laut. Drei Männer stürmen über den Weg heran, bleiben verblüfft stehen. Einer der Burschen, ein dicker, kahlköpfiger Endvierziger, beginnt zu schreien und rennt mit rudernden Armen zurück. Die anderen beiden stehen einfach da, glotzen ungläubig auf das Bild, das sich ihren Augen bietet und beginnen aufgeregt miteinander zu diskutieren.
Es wird Zeit für mich. Der Mann, der eben schreiend weglief, kommt mit ein paar anderen Männern zurück. Im Nu stehen zehn, fünfzehn Leute auf dem Weg herum. Einer faßt sich schließlich ein Herz, nähert sich einem der Gerippe, tippt mit dem Fuß dagegen. Es klappert leise, dann rollt der Kopf über den Weg, und der Mutige zuckt entsetzt zusammen.
Immer noch stehen sie unschlüssig herum, wissen nicht, was sie tun sollen. Aber ich bin davon überzeugt, daß die Presse von dieser Sache hier draußen Wind bekommen wird. Eins habe ich erreicht: Man wird reden und schreiben über die seltsamen Vorfälle. Und man wird nachdenken. Der Doc, glaube ich, hat seinen ersten Fehler gemacht.
Zum letzten mal sehe ich mich um. Auf den ersten Blick ist nichts Verräterisches zu finden. Die MP hängt gut versteckt unter meiner Felljacke. Vielleicht werde ich sie noch einmal brauchen, wenn ich den Doc doch besuchen sollte. Ich bin davon überzeugt, daß diese grauenhaften Wesen von heute Nacht aus seinem Kellergewölbe kamen. Vielleicht sind sie alle fort aus dieser Schreckensgruft, und es gibt keinen Grund mehr, sich zu fürchten.
Zwei Männer nähern sich jetzt vorsichtig der Grabkammer. Durch die blinden Scheiben sieht man deutlich die Angst auf ihren Gesichtern. Von ihnen habe ich nichts zu befürchten. Ein lauter Schrei, und sie fallen auf der Stelle ohnmächtig vor Schreck zwischen die bleichen Gerippe.
Doch sie sollen mich nicht sehen. Ich werde erst hierher zurückkommen,
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