033 - Die Frau aus Grab Nr. 13
ihr.
Sie spürte, daß sie ein Kind empfangen hatte. Doch die Freude darüber machte dem Entsetzen Platz, als sie feststellte, daß ihr Mann dabei den Tod gefunden hatte. Hatte er sein Leben für die Frucht in ihrem Leib lassen müssen? Oder war ihr Traum Wirklichkeit geworden? Hatte der Teufel sie aufgesucht und ihren Mann wie einen Nebenbuhler getötet?
Wie dem auch war – Agnes begann das Kind, das sie unter dem Herzen trug, zu hassen. Ein Fluch lag auf diesem Wesen. Agnes wollte es nicht austragen. Sie hätte es sich am liebsten aus dem Leibe gerissen. Und doch tat sie es nicht.
Sie verbarg das Balg vor den Leuten. Niemand sollte die Schwellung ihres Leibes sehen. Was sie sonst mit Stolz erfüllt hätte, versteckte sie nun wie ein Kainszeichen.
Ihr Haß wuchs, und im gleichen Maße, wie die Abscheu gegen diesen »mörderischen Bastard« zunahm, vergrößerte sich ihre Liebe zu Dieter. Ihm wollte sie von nun an ihre ganze Aufmerksamkeit widmen.
Als der Tag der Niederkunft kam, gebar Agnes in der Abgeschiedenheit der Rumpelkammer ohne fremde Hilfe ein Mädchen, bei dessen Anblick sie sich schwor, es nie an ihrem Busen zu säugen.
Dieter war erschüttert. Er blätterte die nächsten Seiten durch, doch er fand keine weiteren Eintragungen über seine Schwester. Agnes Houlkmann hatte Wort gehalten. Das Kind war für sie Luft gewesen, als hätte es nie das Licht dieser Welt erblickt.
Was hatte seine Mutter mit dem Neugeborenen gemacht? War sie zur Kindesmörderin geworden? Oder hatte sie es ausgesetzt? In ein Heim gegeben?
Letzteres bestimmt nicht, denn das Neugeborene war nicht einmal getauft worden. Außer einigen Gerüchten wies nichts auf seine Existenz hin.
O Gott! Welche Abgründe taten sich vor ihm auf! War das der Grund, warum ihn dieser zwielichtige Rechtsanwalt gerufen hatte? Wußte er über das Kind Bescheid? Wollte er ihn deshalb erpressen?
Nein, nein, um eine normale Erpressung handelte es sich hier nicht. Denn welcher herkömmliche Ganove hatte schon einen Leibwächter mit vier Armen? Hier waren andere Dinge im Spiel.
Und seine Mutter – die als Wiedergängerin aus dem Grab stieg und anderer Leute Kinder raubte?
Dieter war nun geneigt, das alles für unumstößliche Tatsachen zu halten. Er wollte alles hinnehmen, wie es war, ohne nach logischen Erklärungen zu suchen. Er wünschte sich, Elke bei sich zu haben. Früher hatte er sie wegen ihrer okkulten Neigungen belächelt, jetzt wußte er, daß sie diesen Dingen viel eher gewachsen war als er; er brauchte ihre Hilfe. Entschlossen ging er zur Tür und riß sie auf.
Der vierarmige Wächter war verschwunden.
Elke spürte die Zärtlichkeit behaarter Hände auf ihrem Körper. Wie durch einen Nebelschleier sah sie den Wolf auf ihr hocken. Sie wollte sich aufbäumen, doch da schnappte das Raubtiergebiß nach ihrer Kehle. Eine klebrige Zunge tastete sich über ihren Hals, die Spitzen der Zähne kitzelten ihre Haut.
Wenn der Tod in dieser Gestalt kommen sollte, wollte sie ihn gern empfangen.
»Verschwinde, zügellose Bestie!«
Der Wolfskopf zuckte zurück. Ein Prügel aus Eichenholz sauste heran und versperrte ihm das Maul. Der Wolf heulte auf und rollte sich auf dem Boden zusammen. Seine Umrisse zerflossen, und er wurde zu einer rassigen Frau. Sie spie den Holzprügel aus, funkelte Elke aus ihren unergründlichen Augen an und sagte: »Wenn wir den Branle tanzen, werde ich an deiner Seite sein.«
Der Branle war ein Tanz, der beim Hexensabbat getanzt wurde, das wußte Elke.
»Laß dir von der nicht den Hintern küssen«, sagte eine andere Frauenstimme. »Die wirst du sonst nie wieder los.«
Elke richtete sich auf. Sie blickte an sich hinunter und stellte fest, daß sie einen glockenförmigen Umhang trug, ohne Ärmel, nur mit Schlitzen für die Arme und eine Öffnung für den Kopf. Ihr Haar knisterte bei jeder Bewegung, und als sie es betastete, fühlte es sich steif und hart an. Es stand ihr in phantasievoll geformten Gebilden vom Kopf ab, als hätte man es in Kleister getunkt.
Die Frau, die das Wort an sie gerichtet hatte, trug einen ähnlichen Umhang, nur war er mit mystischen Symbolen und bis zur Unkenntlichkeit verformten sakralen Elementen bemalt.
Elke wußte, daß sie sich in einem Kreis von Teufelsanbetern befand, die wahrscheinlich auch hypnotische Kräfte besaßen, um ihr alle möglichen Visionen vorgaukeln zu können. Bei dem Gedanken an das Bad im Blut der Gefolterten empfand sie keinen Schauer mehr. Sie wußte, daß alles nur
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