0335 - Das Säure-Attentat
dudelte Musik aus einem Radio oder von einem Plattenspieler. Sonst war kein Geräusch zu vernehmen.
Ich drehte den Türknauf. Hinter der Tür war ein kleinerer Raum, in dessen Mitte eine eiserne Wendeltreppe hinaufführte. Ich verfolgte die zahllosen Windungen. Die Wendeltreppe musste mindestens drei Stockwerke hoch emporgehen. Sie stand mitten im Raum.
Die leise Musik, die ich jetzt deutlicher hörte, schien von ganz oben zu kommen. Trotzdem wollte ich erst einmal hier unten mich umsehen. Auf Zehenspitzen schlich ich an den vier Wänden entlang - es gab keine Tür außer der, durch die ich gekommen war.
Leise setzte ich meinen Fuß auf die erste Stufe der Treppe. Überall hingen Spinnweben und lag Staub. Geräuschlos stieg ich Stufe um Stufe hinauf. Die Brechstange hatte ich mir über die Schulter gelegt.
Ich kam unbehelligt oben an. Die Treppe endete unter dem Dach. Eine Falltür erlaubte den Ausstieg. Die Musik war jetzt so laut, dass sie sich nicht weit von dem Ausstieg entfernt befinden musste. Und wo Musik ist, sind meistens auch Leute. Konnte ich es wagen, die Höhle des Löwen zu betreten?
Die vier Gangster hatten die Schlosserwerkstatt durch das vordere Tor verlassen, nachdem sie uns gefesselt hatten. Der Bandenchef dagegen war mit Wermut-Joe durch die Metalltür verschwunden, die ins Treppenhaus führte. Aber wer garantierte, dass Wermut-Joe mit dem Boss allein dort oben auf dem Dach saß? Konnten nicht weitere Gangster da oben sein?
Die vier Gangster hatten Anweisung, eine Geschichte mit einem Mädchen zu erledigen. Wie zu erledigen? Der Boss würde die Antwort wissen. Aber er würde außer seinem Totschläger sicher auch eine Schusswaffe besitzen - und dass er nicht zögern würde, sie gegen mich zu gebrauchen, stand für mich fest.
Lange wartete ich ab und überlegte, was ich tun sollte. Dann riskierte ich es und drückte gegen die Falltür. Sie bewegte sich nicht. Offenbar war sie von oben verriegelt. Vielleicht gab es auch einen geheimen Mechanismus, mit dessen Hilfe nur der Eingeweihte sie öffnen konnte. Ich tastete die Umgebung der Tür ab. Und ich fand einen Klingelknopf, der unauffällig in einer Ecke angebracht war. Das musste der Knopf sein, der den Mechanismus zum Öffnen der Tür in Bewegung zu setzen hatte.
Erst als ich ihn niederdrückte, merkte ich, dass es ein Klingelknopf war. Das laute Rattern der Klingel gellte überlaut in meinen Ohren und übertönte schrill die plärrende Musik. Ich machte kehrt und wollte mich um die nächste Kehre der Wendeltreppe in Sicherheit bringen, als mich ein leises Scharren über meinem Kopf aufblicken ließ.
Genau über mir hatte sich in der Falltür ein Schlitz geöffnet.
Und durch diesen Schlitz schob sich langsam die Mündung einer Maschinenpistole.
***
Phil brauchte einen Augenblick, bis er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Zweifelnd sah er den alten Chinesen an. Er war gut gekleidet, sah intelligent aus und machte den Eindruck eines biederen Geschäftsmannes.
»Sind Sie Staatsbürger der USA?«, fragte Phil schließlich.
»Aber ja, Sir. Seit Geburt.«
Er sagte es nicht ohne einen gewissen Stolz. Phil kannte diese Einstellung. Viele farbige Mitbürger betonten bei solchen Fragen, dass bereits ihre Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern Amerikaner waren.
»Mr. Wei-Peh, ich bin Phil Decker vom New Yorker FBI-Büro. Ich müsste dringend mit Ihnen sprechen, aber ausgerechnet jetzt bin ich sehr in Eile. Hätten Sie etwas dagegen, mit mir zum Distriktgebäude zu kommen?«
Der Chinese fuhr zurück.
»Soll… soll das heißen, dass Sie mich festnehmen?«
»Aber nein. Ich möchte mit Ihnen sprechen! Aber vorher muss ich unbedingt in meiner Dienststelle ein paar dringende Sachen erledigen. Deshalb bitte ich Sie, mich zu begleiten.«
Der Blick des Mannes ruhte einen Herzschlag lang auf Phils Gesicht. Dann nickte er zustimmend.
»Ich stehe dem FBI zur Verfügung, Sir.«
»Danke. Da drüben steht mein Wagen.«
Es war Rushhour, aus Tausenden von Fabriken, Büros und Geschäften strömten vier oder fünf Millionen berufstätige Bürger ihrem Heim zu. Der Pendelverkehr hinüber nach New Jersey, Hoboken und Newark verstopfte den Hudson Tunnel und die Washington-Brücke. Alle Anfahrtsstraßen zu den Tunneln und Brücken, die aus Manhattan hinaus führten, waren vollgestopft mit Zehntausenden von Kraftfahrzeugen. Phil brauchte trotz der geringen Entfernung beinahe eine halbe Stunde bis zum Distriktgebäude.
Zunächst führte er den
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