0341 - Die Nadel der Cleopatra
verstehe Sie, Patty.«
»Aber gesehen habe ich nichts.«
Shao lächelte, als sie Pattys Blick auf sich gerichtet sah. »Weiß das auch der Mörder?«
»Er muß es wissen, wenn er mich beobachtet hat. Davon kann man ja wohl ausgehen. Er hat sich bestimmt nicht allein auf meinen Freund konzentriert…«
Shao hörte nicht mehr, was die andere noch sagte, denn abermals meldete sich die fremde Stimme bei ihr. »Fang an, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Du mußt es tun…«
Die Chinesin nickte, als wollte sie sich selbst bestätigen und ihrer unsichtbaren Meisterin ein Zeichen geben.
»Haben Sie etwas?« fragte Patty.
»Nein, nein, ich denke nur gerade nach.«
»Wohl fühlen Sie sich auch nicht, wie?«
»Das kann man nicht so sagen. Ich hoffe nur, daß der Mörder gestellt wird!« erwiderte Shao gegen ihre Überzeugung.
»Ja, das hoffe ich auch.«
›Mach es!‹ Es war schon ein Befehl, der durch Shaos Kopf peitschte und sie regelrecht zusammenzucken ließ. Sie wurde bleich.
Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Obwohl die Aussage deutlich genug gewesen war, gab es etwas in Shaos Innern, das sich dagegen wehrte. Sie war noch zu sehr Mensch, der nicht so ohne weiteres einen Mord begehen konnte.
Zwei Seelen kämpften in ihrer Brust.
Sie verzog die Lippen so in die Breite, wie Sue Ellen in »Dallas«, wenn sie mal wieder etwas Unerhörtes von ihrem J. R. erfahren hatte.
Auch Patty war die Miene aufgefallen. »Shao, was haben Sie?«
»Mir… mir ist ein wenig schwindlig. Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten …«
»Natürlich, gern.« Patty stemmte sich hoch und verschwand mit schnellen Schritten in der Küche.
Das hatte Shao gewollt. Endlich war sie allein, wenn auch nicht lange, aber sie konnte ungestört überlegen.
Sie sollte töten.
Sie wollte nicht.
Da war die Stimme. Sie wurde immer drängender. Zudem hatte man der Chinesin eine Waffe mit auf den Weg gegeben, die in ihrer Handtasche steckte.
Ohne es eigentlich bewußt zu wollen oder zu steuern, öffnete Shao die Tasche.
Allerlei Dinge, die eine Frau mit sich herumschleppte, befanden sich darin.
Und die Scherbe!
Shao warf einen Blick zur offenen Tür.
Aus der Küche hörte sie das Wasser rauschen. Sie brauchte im Moment noch keine Befürchtung zu haben, daß Patty Lester zu früh zurückkehrte. Also konnte sie sich um andere Dinge kümmern.
Mit spitzen Fingern holte sie die gefährliche Mordwaffe aus ihrer Tasche.
Ein kaltes Lächeln lag dabei auf ihren Lippen. Der weiche Ausdruck des Gesichts war verschwunden, eine andere Macht hatte die Gewalt über sie bekommen.
Als Shao die Schritte der Zurückkehrenden vernahm, klappte sie die Tasche schnell wieder zu, stellte sie neben sich und legte die Waffe so hin, daß sie nicht gesehen werden konnte. Patty mußte schon sehr genau schauen, wollte sie die Scherbe entdecken.
Sie kam zurück.
In der rechten Hand hielt sie das Glas mit dem frischen Wasser.
Der Mund war zu einem Lächeln verzogen, und in den Augen lag ein besorgter Ausdruck.
Und diese Frau sollte sie töten?
Nein!
›Doch!‹ Da war wieder die Stimme der anderen. Shao zuckte zusammen, was für Patty als schlechtes Zeichen galt.
»Trinken Sie, bitte!« Sie beugte sich nach unten, um der Chinesin das Glas zu reichen.
Shao nahm es auch entgegen. Sie wartete noch, bis Patty ihre Hand zurückgezogen hatte, dann reagierte sie. Die Bewegung war kaum zu erkennen. Plötzlich wurde das Wasser aus dem Glas in die Höhe geschleudert und klatschte der völlig überraschten Patty ins Gesicht.
Das Mädchen fuhr zurück, ruderte mit den Armen, wollte sich die Flüssigkeit aus dem Gesicht wischen, wobei aus ihrem Mund ein überraschter Schrei drang.
Shao schnellte in die Höhe. Ihr kam dabei zugute, daß sie auf einer relativ harten Unterlage saß, so konnte sie sich optimal abstützen und sprang auf die noch immer überraschte Patty zu.
Ein Schlag traf Patty zwischen Brustbein und Unterleib. Ihm konnte sie nichts entgegensetzen. Verkrümmt fiel sie zurück und landete zum Glück weich auf den Polstern.
Shao hechtete auf sie zu. Ihre Linke fand zielsicher die Kehle des Mädchens, während sie in der Rechten die Scherbe hielt und die gefährliche Waffe dicht vor das Gesicht der schreckensstarren Patty brachte, wobei die Chinesin noch kalt lächelte.
Patty Lester hatte den Mund geöffnet, aber sie war unfähig, auch nur ein Wort auszustoßen, denn Shao drückte ihr die Luft ab.
»Bleib nur liegen!« flüsterte sie. »Bleib ganz ruhig
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