0344 - Die Hexe von Nottingham
Krankenzimmer.
Eine Viertelstunde später kam er zurück.
»Man will die Polizei einschalten«, sagte er. »Eine Schwester, nämlich jene, die das Essen auf dieser Station verteilen sollte, ist tatsächlich überfallen worden. Sie wurde gerade vor 20 Minuten in einer Abstellkammer gefunden. Die Patienten haben sich bereits beschwert, weshalb das Essen nicht gebracht wurde. Den Kittel und das Häubchen hatte man schon vorher gefunden, wollte es mir aber nicht aushändigen. Jetzt habe ich wenigstens das Häubchen. Fingerabdrücke können sie von den Knöpfen am Kittel besser nehmen.«
»Du willst die Beschwörung versuchen?«
Zamorra nickte. »Ob ich etwas erreiche, und vor allem was ich erreiche, weiß ich nicht. Aber ich werde Ruhe brauchen. Hier finde ich die nicht. Jeden Moment kann ein Arzt oder eine Schwester hereinkommen, oder sonst jemand. Und man wird meinen Versuch nicht respektieren. Man glaubt hier nicht an den Hokuspokus, wie einer der Ärzte es abfällig nannte.«
»Ein Hotelzimmer - wie üblich«, schlug Nicole vor.
Zamorra nickte. »Wir werden uns also zurückziehen. Vielleicht brauche ich Nicoles Hilfe. Sobald wir etwas haben, melden wir uns. Wahrscheinlich telefonisch. In der Zwischenzeit«, er wandte sich an Beta, »sollten Sie noch wachsamer sein als bisher. Ich fürchte, man greift mittlerweile zu den übelsten Tricks. Dieser Diebstahl läßt mich das Schlimmste vermuten. Es soll Ted an den Kragen gehen, so oder so. Und jetzt ist er schutzlos wie ein Igel auf dem Rücken.«
»Ein zweites Mal werde ich mich nicht täuschen lassen«, versprach Beta. »Sie können beruhigt sein.«
»Das bin ich erst, wenn der Kristall wieder hier ist«, sagte Zamorra. »Und auch dann noch nicht. Beim nächsten Mal probieren sie es mit einem anderen Trick.«
»Aber wer sind sie?«
»Das eben«, versprach Zamorra, »werde ich bald herausfinden.«
***
Während er in Bess Saunders’ Wohnung zurückgeblieben war, hatte sich Dan Tracey so seine Gedanken gemacht.
Diese rothaarige Frau mit den weißen, pupillenlosen Augen gefiel ihm nicht. Sie schien Bess gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen zu sein. Ihr aufdringliches Verhalten machte sie unsympathisch.
All right, sie war wohl eine Abgesandte der Hölle. Einen Beweis dafür hatte sie bisher nicht geliefert, nur eine Demonstration ihrer Macht. Tracey glaubte ihr trotzdem, daß sie eine Dienerin des Bösen war.
Ihr Auftreten war - dämonisch. Sie mußte geflogen sein, um durch das Fenster hereinzukommen. Sie hatte gefordert, hatte befohlen. Und Bess Saunders paßte das gar nicht. Das war das Ausschlaggebende.
Dan Tracey war nicht gerade zimperlich veranlagt. Er wußte, was hinter dem Begriff Schwarze Magie stand. Er wußte, daß ein Menschenleben nicht viel galt. Bess hatte es ihm gezeigt, und er erhob niemals Einwände. Wenn es zu seinem Vorteil war, mochten andere ruhig sterben.
Der beschlossene Tod dieses Ted Ewigk dagegen brachte keinen direkten Vorteil für Bess oder Dan. Es war also überflüssige Mühe, Verschwendung, zumal die versprochene Bezahlung lächerlich war - die Fremde ließ sich allergnädigst herab, das Leben der Hexe zu verschonen!
Das war eine deutliche Drohung.
Aber Dan Tracey hielt nichts von Erpressungen, wenn sie gegen ihn oder seine Lebensgefährtin gerichtet war. Er war willens, der Fremden Widerstand entgegenzusetzen. Bess hatte sich zwar zunächst überreden lassen, aber das zählte nicht.
Man mußte der Roten zeigen, daß sie hier auf Granit biß, daß sich das Team Saunders/Tracey nicht alles gefallen ließ. Außerdem hatte Tracey noch ein weiteres Interesse daran, der Fremden zu zeigen, wo es lang ging: sie hätte ihn fast ermordet. Mit ihrer Magie hatte sie ihn aus dem Fenster geschleudert, und wenn es Bess nicht gelungen wäre, ihn mit einem Zauber zurückzureißen, läge er jetzt zerschmettert unten auf der Straße. Dabei war er sicher, daß Bess auch dabei nicht uneigennützig gehandelt hatte. Den Begriff Liebe im eigentlichen Sinne gab es zwischen ihnen nicht. Sie waren Partner, die sich gegenseitig Stunden des schieren Vergnügens und der Lust schenkten, und die sich in ihren Interessen ergänzten und unterstützten. Sie zogen gegenseitig Vorteile voneinander. Wenn dieser Zustand sich änderte, würden sie sich wieder voneinander trennen - so oder so. Jetzt aber waren sie zusammen, und das zählte.
Und da war noch dieser seltsame, bedrohliche Blick aus weißen Augen gewesen, mit dem die Rothaarige ihn, Tracey,
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