0344 - Vampir-Schlangen
Schlosses erreicht hatte.
Er kreiste über seinem Ziel.
Eine große Fledermaus mit starken, kraftvollen Krallen, einem menschlichen Gesicht und einer Beute, die sie nie mehr loslassen wollte.
Boris Bogdanowich hatte es geschafft. Er trug noch immer die Leiche in seinen Krallen und schaute aus seinen kleinen Augen in die Tiefe auf den Innenhof des Schlosses.
Es war kein großer Platz, der das düstere Gemäuer umgab.
Außerhalb der Mauern ging es nach wenigen Schritten schon in die Tiefe, und nur östlich des Schlosses war Platz gelassen worden für einen kleinen Friedhof, auf dem auch der Vampir-Baron von Leppe einmal seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.
Diesmal wurde das Schloß von Boris Bogdanowich angeflogen. Es hatte in ihm einen neuen Besitzer gefunden, denn nur ein Wesen wie dieser Vampir konnte sich innerhalb der kahlen, dicken und unheimlichen Mauern wohl fühlen. Für einen Menschen wären sie zu erdrückend gewesen. Er hätte so rasch wie möglich die Flucht ergriffen.
Ein erster Rundblick hatte dem Blutsauger gereicht. Niemand befand sich im nebelfreien Schloßhof. Während in den Tälern bereits die Nacht ihren Einzug gehalten hatte, leuchtete hier, auf den Spitzen der Berge, noch das letzte Tageslicht.
Es war ein fahler, wenn auch heller Schein, der den alten Mauern einen unnatürlichen Glanz verlieh, den sie überhaupt nicht verdient hatten.
Die Leiche der Lady X pendelte unter den Krallen des Vampirs.
Boris hatte sie hart in die Kleidung geschlagen. Kopf, Arme und Beine der Toten pendelten nach unten. Hin und wieder schwangen sie stärker, je nachdem, wie der Wind gegen sie fuhr.
Der Blutsauger landete. Im Innenhof der Burg wollte er aufkommen und tauchte aus dem letzten hellen Licht des Tages in die Finsternis des Burghofs hinein.
Die Dunkelheit schluckte ihn. Nur ein Klatschen war zu hören, wenn er seine Flügel bewegte, den im Schloßhof liegenden Dunst verteilte und, als er sich dicht über Grund befand, seine Krallen aus der Kleidung der Leiche löste.
Lady X fiel ab.
Die halbverweste Königin der Vampire blieb auf dem Gesicht liegen, während die Fledermaus flatternd einige Meter weiterflog und erst dort den Boden berührte.
Die Verwandlung begann.
Zuerst klappte sie die Flügel zusammen, so daß es wirkte, als wäre die Gestalt unter einem schwarzen Vorhang begraben. Aus den Flügeln wurden Arme, die Krallen streckten sich. Beine bildeten sich hervor, desgleichen Schultern, Hände und Füße.
Nur der Kopf blieb.
Ein graubleiches Gesicht, das sehr alt war und auch so wirkte, als wäre es von einem Maskenbildner geschminkt worden.
Boris warf nur mehr einen knappen Blick auf die am Boden liegende Gestalt der Lady X. Dann schritt er auf das große Eingangstor zu, dessen Umrisse einen etwas helleren Ausschnitt in der Düsternis der Mauer hinterließen.
Das Tor besaß eine schwere Klinke, die er nach unten drückte, und die rechte Hälfte aufzog.
Kälte und Finsternis hatten sich innerhalb der Schloßmauern ausgebreitet. Der Eingang wirkte wie das Maul eines Ungeheuers, in dem der Vampir verschwand.
Es dauerte seine Zeit, bis er zurückkam. Zwischendurch hätte ein Beobachter den flackernden roten Lichtschein sehen können, der das Schloß allmählich ausfüllte.
Er stammte von den Pechfackeln, die Boris entzündet hatte und seinen Weg markierten.
Als er sein Schloß verließ, blieb er sekundenlang auf der Schwelle stehen. Das hinter ihm lodernde Fackelfeuer umtanzte seine düstere Gestalt wie ein Vorhang, so daß die Gestalt sich scharf abheben konnte. Er stand dort wie ein Herrscher, ein König, und dennoch war er dies nicht, denn dieses Schloß sollte bald einer wahren Königin gehören.
Der Lady X!
Sie lag noch immer regungslos auf den kalten Steinen des Schloßhofs mit dem Gesicht nach unten. An ihrem Körper konnte sich nichts rühren, nichts bewegen. Sie war eine Tote, und erst Boris wollte dafür sorgen, daß sie ein schreckliches Leben bekam.
Er ging zu ihr, bückte sich und hob sie an. Dabei drehte er sie, so daß er, als sie auf seinen Armen lag, in das halbverweste Gesicht blicken konnte. »Ich habe mein Versprechen eingelöst«, flüsterte er.
»Und habe dafür gesorgt, daß die uralte Schlangenmagie wieder erweckt wurde, denn sie allein kann dich um Mitternacht aus dem Reich der Toten in das der Lebenden holen…«
Nach diesen Worten machte er kehrt und betrat mit seiner Last das Schloß. Keine Spuren irgendwelcher Anstrengungen zeichneten sein Gesicht.
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