0349 - Brücke der knöchernen Wächter
bewunderte den Himmel.
»Kommen Sie!« Renard nickte uns zu.
Es wehte doch ein leichter Wind. Er trieb den Geruch von Fisch an unsere Nasen. Mir kam es vor, als wäre es ein fauliger Dampf, der uns da entgegengeweht wurde.
Hinter uns, wo sich der internationale Hafen befand, wurde auch in der Nacht gearbeitet. Wir hörten das Quietschen schlecht geölter Kräne, manchmal ein Hämmern und auch das Tuten einer Schiffssirene.
Tanger schlief nie.
Auch wenn es so ausschaute und wir über einen angeblich menschenleeren Pier schritten.
Claude warnte uns. »Rechnen Sie immer damit, unter Beobachtung zu stehen. Hier hat die Nacht oft mehr Augen als der Tag. Jeder Gangsterchef besitzt am Hafen seine Spitzel, wenn ich das mal so leger ausdrücken darf. Seien Sie vorsichtig!«
»Danke für den Rat.«
Wir gingen zum Pier. Der Boden war nicht gepflastert. Zumeist schritten wir über hart gestampften Lehm. Wir passierten einige barackenähnliche Gebäude, in denen auch Licht brannte. Durch offene Türen drang der Gestank von fauligem Fisch.
Mittlerweile erkannten wir auch die Aufbauten der Fischerkähne.
Die Masten bewegten sich leicht und sahen aus wie schaukelnde Skelettarme. Hin und wieder entstanden dumpfe Geräusche, wenn die Schiffskörper gegeneinander rieben.
Neben einer alten Gaslaterne blieben wir stehen. Sie brannte nicht mehr, aber in ihrer Nähe lehnte ein altes Fahrrad an einer Brandmauer. Und neben dem Rad hockte eine Gestalt, die sich in die Höhe schraubte, als wir stehenblieben.
»Verhalten Sie sich ruhig«, sagte Renard, als er sich umdrehte.
»Und achten Sie auf die Umgebung.«
»Okay.«
Der Franzose näherte sich der Gestalt und hob die Hand zum Gruß.
Wir warteten ab. Ich schielte derweil zur Seite, weil ich sehen wollte, wenn er mit Renard sprach.
Viel war nicht zu erkennen. Der andere hatte sich in einen dunklen Kaftan gewickelt und noch eine Kapuze über den Kopf gezogen. So wirkte er wie eine unheimliche Erscheinung.
Die beiden redeten zischend miteinander. Worte konnte ich nicht verstehen, aber der Einheimische deutete einige Male in Richtung Meer und auch entgegengesetzt.
Claude nickte ein paarmal. Danach griff er in die Tasche und holte etwas hervor. Am Knistern erkannte ich, daß es sich dabei um einen Geldschein handelte.
Die Gestalt schnappte danach und ließ den Schein gedankenschnell verschwinden.
Renard kam wieder zu uns. »Sie sind bereits eingetroffen«, erklärte er.
Das gefiel mir überhaupt nicht, und ich sagte es auch.
Der Franzose lachte. »Keine Sorge, Sinclair, wenn ich etwas in die Hand nehme, klappt das auch. Mein Informant weiß, wo sie sich versteckt halten.«
»Und?«
»Wir können zu Fuß dorthin.«
»Mit ihm?« fragte ich.
»Nein, er wird verschwinden. Er ist wie ein Schatten. Überall, aber nirgends.« Während dieser Worte hatte der Mann sein Fahrrad genommen, sich in den Sattel geschwungen und rollte davon. Es kümmerte ihn überhaupt nicht, daß er ohne Licht fuhr.
»Waren es wirklich die beiden Personen, die wir gesucht haben?« erkundigte ich mich.
»Möglich.« Claude begann zu grinsen. »So genau war das nicht zu erkennen. Sie sind ja nicht normal vom Schiff gegangen, wenn Sie verstehen…«
»Nein.«
»Man hat zwei Särge entladen.«
Ich schluckte. »Und Sie nehmen an, daß die beiden darin gelegen haben können?«
»Ich nicht, mein Informant. Aber er hat mich noch nie hereingelegt. Ich kann ihm vertrauen.«
»Hoffentlich.«
»Lassen Sie uns gehen«, sagte Suko. »Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren.«
»Natürlich.« Claude klopfte dem Inspektor auf die Schulter. »Bisher habe ich immer gedacht, Chinesen seien geduldig. Sie machen die große Ausnahme.«
Den gleichen Weg, den wir gekommen waren, gingen wir nicht zurück. Claude führte uns durch ein Gebiet, das so manchem Menschen Angst machen konnte.
Da brannte kein einziges Licht. Die einzige Beleuchtung gaben die Sterne ab, und der fahle Halbmond, der wie eine exakt aus dem Himmel geschnittene Banane in der Weite des Alls stand.
Manchmal hörten wir auch leise Schritte. Dann rann mir jedesmal ein Schauer über den Rücken, doch Claude winkte ab. »Menschen, die man hört, sind nicht gefährlich. Die anderen, die leisen, auf die müssen Sie achten.«
Wir gingen über einen gepflasterten Weg. Rechts von uns war der Blick offen, und wir sahen das Meer. Zur linken Hand entdeckten wir eine hohe Mauer, die irgend etwas umschloß, das wir wegen der Mauerhöhe nicht erkennen
Weitere Kostenlose Bücher