0349 - Brücke der knöchernen Wächter
die Finger berührten nur mehr die nach innen gebaute Fensterbank, so daß ich nicht einmal durch die Scheibe schauen konnte.
»Geht es?« fragte Suko. Seiner Stimme hörte man die Anstrengung nicht an.
»Nein. Wenn du mich noch ein wenig höher heben könntest.«
»Verdammt, du verlangst mal wieder viel.«
»Tu mal was für dein Geld.«
»Immer ich.« Suko drückte trotz seiner »Beschwerde« zu. Er stemmte mich jetzt, ich hörte ihn dabei mit dem Franzosen flüstern und entnahm den Worten, daß Renard meinen Freund unterstützte.
Ich kam tatsächlich höher, berührte auch die Scheibe, hatte den Kopf in den Nacken gelegt, tastete das Fenster mit meinen Blicken ab und suchte vergeblich nach einem Griff.
Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Höchstens durch Einschlagen der Scheibe.
Unter mir begann selbst der kräftige Suko ein wenig zu wackeln.
Wenn ich die Scheibe einschlug, dann nach einem zweiten Kletterversuch. Zunächst versuchte ich, durch das Fenster zu schauen.
»Kannst du noch halten?« fragte ich.
»Kaum!« kam es gepreßt zurück.
»Noch ein paar Sekunden.«
»Was willst du denn?«
»Sehen, ob sich draußen etwas tut.« Ich hatte nicht gelogen, denn es war mir gelungen, die Arme so weit vorzuschieben, daß ich mich auch abstützen konnte.
Obwohl die Scheibe dunkel war und die Nacht den Friedhof einbettete, gelang es mir trotzdem, etwas zu erkennen. Genaues konnte ich nicht sehen, aber zwischen den Grabreihen, wo die Steine heller abstachen, sah ich gewisse Bewegungen.
Es waren hochgewachsene Schatten, die durch die Grabreihen glitten, wobei leider das Licht so schlecht war, daß ich mehr raten mußte, was dort vorging.
Menschen konnten es sein, die auf irgendwelchen »Gegenständen« hockten.
Vielleicht Pferden!
Wenn ja, bewegten sie sich lautlos, nahezu gespenstisch, da ich kein Hufgetrappel vernahm. Sie huschten nahe der großen Mauer vorbei und liefen auch im Kreis.
Der Fall wurde immer verworrener.
»Okay, John, allmählich breche ich ab!« hörte ich Sukos Stimme.
»Wie sieht es aus?«
»Laß mich runter!«
Suko senkte die Arme ein wenig, ich drehte mich dabei zur Seite und sprang zu Boden.
Neben den beiden Männern blieb ich stehen und säuberte mir die Hände, weil sie durch das Anfassen der Scheibe schmutzig geworden waren. »Da tut sich einiges«, berichtete ich.
»Vor der Leichenhalle?« fragte Suko.
»Ja.«
»Wer denn?« Auch die Frage des Franzosen klang gespannt.
Um ihre Erwartungen zu dämpfen, hob ich beide Arme. »So einfach ist das nicht. Draußen liegt die Dunkelheit, und es war schwer für mich, etwas zu erkennen. Dennoch glaube ich, Gestalten gesehen zu haben, die um den Bau herumliefen.«
»Menschen?« fragte Suko.
»Möglich. Außerdem waren diese Gestalten nicht zu Fuß. Sie hockten auf Pferden oder Kamelen. Genaueres konnte ich nicht erkennen. Tut mir ehrlich leid.«
Suko sagte nichts, aber Claude nahm den Faden wieder auf. »Reiter, haben Sie gesagt? Das ist natürlich ein Ding.«
»Wieso?«
»Ich komme wieder auf die alten Geschichten zurück. Ich habe Ihnen ja berichtet, daß der Bai aus den Bergen gekommen ist und ein alter Berberfürst war. Der hatte natürlich eine Leibgarde. Möglicherweise sind es diese Männer gewesen, die Sie sahen, John.«
»Auch welche, die so alt sind wie er?«
»Nein, der Bai wird auch heute noch von zahlreichen Leuten verehrt. Sie sehnen sich nach ihm und möchten, daß er wieder zurückkehrt. Ich weiß, das ist verrückt, aber nicht zu ändern. Aber der Einfluß des toten Bais besteht noch immer.«
»Wir sitzen also in der Falle!« resümierte Suko.
»So sieht es aus«, gab ich ihm recht.
»Und was machen wir nun?« fragte Claude.
Eine Antwort konnte keiner von uns geben. Man hatte uns in die Falle gelockt, damit war von der Gegenseite Aktivität bewiesen worden. Nun blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten, was geschah.
Es tat sich etwas.
Urplötzlich verlöschte das Licht!
***
Wie der oft zitierte und berühmte Sack fiel die Dunkelheit über das Innere des Leichenhauses. Wir konnten von einer Sekunde auf die andere nicht die berühmte Hand vor Augen sehen, und erst als wir uns ein wenig an die neuen Umstände gewöhnt hatten, gelang es uns, die Ausschnitte der Fenster zu erkennen, die sich sehr schwach im Mauerwerk abzeichneten.
Suko hatte den Kopf nach hinten gelegt und schaute zur Wand.
»Das ist der einzige Fluchtweg.«
»Wobei wir die Scheibe einschlagen müßten«, ergänzte ich.
»Und
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