0349 - Brücke der knöchernen Wächter
konnte er davon nicht leben. Da er ein aufwendiges Leben führte, mußte er noch andere Einnahmequellen besitzen. So hatte ich erfahren, daß er auch in gewissen westlichen Geheimdienstkreisen eine bekannte Größe war und einige Leute mit spektakulären Informationen versorgte.
Claude Renard wußte nicht sehr viel.
Sicherheitshalber hatten wir ihn nicht genau eingeweiht, denn wir mußten erst sicher sein, die beiden Flüchtlinge auch zu sehen.
Wir standen ziemlich günstig. Zwischen zwei Lagerschuppen hatte der Franzose seinen Wagen gelenkt. Von dieser Stelle aus konnten wir einen Blick in Richtung Wasser werfen, das wie schwarzer, sich bewegender Teer aussah, über dessen Oberfläche hin und wieder ein Lichtstreifen zuckte, der von einer Lampe stammte, die irgendwo an Land stand.
Der große internationale Hafen lag weiter entfernt. Die Schiffe, die hier im brakigen Wasser dümpelten, gehörten den einheimischen Fischern, wovon die Hälfte Schmuggler waren, wie mir Renard glaubhaft versichert hatte.
Darum ging es auch.
Wir rechneten nicht damit, daß Aldo und Leila mit dem normalen Schiff ankamen. Für Dinge, wie die beiden sie wahrscheinlich vorhatten, gab es gewisse Tricks. Man konnte sich ein Schiff telefonisch mieten, das von Tanger aus die Drei-Meilen-Zone verließ und man auf See einfach von dem normalen Schiff umstieg.
Daß wir so etwas wußten, war den beiden bestimmt nicht bekannt, und wir waren gespannt, was sie sagen würden, wenn wir ihnen plötzlich gegenüberstanden.
Claude hatte sich eine neue Schwarze angezündet. Er blies den dünnen Rauch in einem Strahl gegen seine Oberschenkel und fragte uns plötzlich: »Gefällt Ihnen diese Nacht?«
»Nein«, antwortete Suko.
»Mir auch nicht«, sagte ich.
»Da haben Sie das gleiche Gefühl wie ich!«
»Wieso?«
Renard lachte und zog die Beine an, um eine normale Sitzposition einzunehmen. »Es ist eine Nacht, wie sie oft genug die Märchenerzähler in den Basaren beschreiben. Sehr dunkel, für die Jahreszeit zu schwül, und die Luft atmet sich wie Blei, wenn Sie verstehen. Irgendwie kommt sie mir schwerer und drückender vor. Dabei seltsam klar, denn der Schall wird ziemlich weit getragen.« Er lachte auf. »Klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner. Wenn Sie so lange in Tanger gelebt hätten wie ich, würden sie gleich empfinden.«
»Das kann ich mir vorstellen«, gab ich zu.
»Und was berichten die Märchenerzähler sonst noch über eine Nacht wie diese?« fragte Suko.
»Interessante Dinge, mein Lieber Inspektor, sehr interessante. Da werden die Gefühle der Menschen wach gepeitscht. Oft genug kocht und brodelt es in der Altstadt. Auf den Basaren steht die Luft, Messer sitzen locker, und so mancher Dschinn kommt aus seinem Versteck.«
»Sie sprechen von einem Geist?«
»Klar. Ein Dschinn ist ein Geist.«
»Aber nicht der in der Flasche«, sagte ich.
Renard grinste. »Das ist nur der Weingeist. Es gibt auch andere. Ich selbst habe sie nie gesehen, aber es existieren gefährliche Gruppen, die noch heute diesem Kult frönen, den Geistern Opfer bringen und sie anbeten.«
»Wissen Sie Genaueres?« fragte ich interessiert.
»Nein, noch nicht. Aber vielleicht erfahren wir bald mehr. Sie beschäftigen sich ja mit diesen Dingen, wie ich mir habe sagen lassen, oder etwa nicht?«
Ich stapelte bewußt tief. »Ein wenig.«
Renard drückte seine Zigarette aus. »Wie dem auch sei. Die beiden Personen, auf die es Ihnen ankommt, scheinen in dieser Richtung hin interessant zu sein. Wenn Sie nach Tanger kommen, nicht ohne Grund, hier finden sie einen Nährboden für alles.«
Diese Antwort ließ tief blicken und machte uns nicht gerade Mut.
Aber wir waren es gewohnt, Schwierigkeiten zu bekommen und sahen die Sachlage noch locker.
»Sollten wir nicht lieber aussteigen und zur Anlegestelle gehen?« schlug Suko vor.
»Genau das hatte ich vor.« Claude öffnete bereits die Fahrertür. Er schloß, als auch wir den Wagen verlassen hatten, sein Fahrzeug sorgfältig ab, obwohl es nicht gerade zu den neuesten Modellen gehörte, aber in einer Stadt wie Tanger konnten die Leute alles gebrauchen, auch alte Schrottkisten, wie der Renault eine war.
Trotz der eigentlich unnatürlichen Atmosphäre lag hoch über unseren Köpfen ein weiter, prächtiger Himmel. Er war fast wolkenfrei, so daß uns der Blick auf ein Gestirnpanorama gestattet wurde, das ich mit dem Begriff einmalig umschreiben konnte.
Jeder Astronom hätte daran seine Freude gehabt, und auch ich
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