0349 - Brücke der knöchernen Wächter
konnten.
Vor einem Eisentor blieb Claude stehen. »Da müssen wir durch«, erklärte er.
»Und was liegt dahinter?« fragte ich, während Sukos Blicke skeptisch an der Mauer hochglitten.
»Ein Friedhof!«
***
Ich schluckte, enthielt mich ansonsten eines weiteren Kommentars und sagte nur: »Da sind wir genau richtig.«
»Haben Sie Angst?« fragte Claude.
»Kaum.«
Der Franzose nickte in Richtung Tor. »Es ist auch kein normaler Friedhof, wie Sie sich bestimmt vorstellen können, sondern ein besonderer. Hier liegen all die, die der Polizei ins Netz gegangen sind. Irgendwelche Gangster in der Stadt haben ihren Kollegen einen Ehrenfriedhof angelegt. Eine letzte Ruhestätte, wo sie unter sich sind, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Noch nicht.«
»Sie werden es erleben.«
»Moment mal.« Suko mischte sich ein. »Sind Sie sicher, daß wir hier am richtigen Ort…«
»Hundertprozentig. Der Friedhof dient als Umschlagplatz für heiße Ware. Dabei spielt es keine Rolle, um was es sich handelt. Ob Mädchen oder Maschinen, von hier aus werden die Geschäfte erledigt. Auch zu Ehren der Toten. Sie sollen schließlich an einem würdigen Ort ihre Ruhestätte gefunden haben.«
»Was sagt denn die Polizei?« fragte ich.
Renard lachte. »Die Bullen? Gar nichts. Oder ich frage anders. Gibt es die überhaupt?«
»In London wäre das nicht möglich.«
»London ist nicht Tanger. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie alles vergessen können. Und jetzt kommen Sie mit, aber seien Sie um Himmels willen vorsichtig.«
»Keine Sorge.«
Claude drehte sich um. Er öffnete das Tor, da es nicht einmal abgeschlossen war. Kein Geräusch entstand. Lautlos schwang das Eisentor nach innen und gab uns einen ersten Blick auf den Friedhof preis.
Man konnte ihn ohne weiteres als groß und gleichzeitig auch als außergewöhnlich einstufen.
Zahlreiche Gräber reihten sich aneinander. Besonders fielen uns die Grabsteine ins Auge. Kreuze sahen wir nicht, dafür weiße Steine, die, vom Licht des Mondes und der Sterne getroffen, fahl leuchteten und wie geheimnisvolle Geisterscheinungen wirkten.
Da weder Hecken noch Zäune unsere Blicke beeinträchtigten, hatten wir eine freie Sicht über das Gräberfeld.
Die Grabsteine waren großzügig angelegt worden. Auf manchen schimmerten die Namen in goldener Schrift. Ich las einige im Vorbeigehen. Es waren alles Einheimische, die man hier beigesetzt hatte. Wir schritten etwa bis zur Mitte des Friedhofs, um uns dann nach rechts zu wenden, denn von hier aus konnten wir direkt auf das alte Gebäude zugehen, das eine Seite dieses Totenackers begrenzte.
Es war umrahmt von kahlen Bäumen, von dessen Zweigen sich zwei schwarze Vögel lösten, die krächzend über unsere Köpfe hinwegglitten und im Dunkel der Nacht verschwanden.
Mein unheimliches Gefühl war geblieben. Vor Friedhöfen fürchtete ich mich nicht, aber ich hatte oft genug erlebt, daß sich das eine oder andere Grab öffnete und ein Zombie hervorkam.
Mußte ich auf diesem Totenacker auch damit rechnen? Ich wollte den Teufel nicht an die Wand malen und verbannte den Gedanken vorerst aus meinem Hirn. Obwohl ich eigentlich damit rechnen konnte, denn die Mädchen der Leila waren Zombies gewesen. Geschmiedet im Höllenfeuer der Dämonin Lilith und ihr allein Untertan.
Auf den europäischen Friedhöfen waren die Wege oft genug mit kleinen Kieskörnern bestreut. Hier nicht. Wir schritten über festgetretenen Lehm und näherten uns dem Gebäude, das ich als Leichenhalle einstufte.
Die Sache gefiel mir überhaupt nicht. Wir waren quasi deckungslos. Wenn uns jemand abschießen wollte, fand er hervorragende Bedingungen und auch bestes Büchsenlicht vor.
Je näher wir dem Gebäude kamen, um so größer wurde meine innerliche Spannung.
Auch Suko hatte seine Blicke überall. Der Inspektor ging vor mir, schaute des öfteren nach links und rechts und suchte dort nach irgendwelchen Feinden.
Die Ruhe war trügerisch.
Als die Gräber hinter uns zurückgeblieben waren, mußten wir über eine dreistufige Treppe gehen und standen sehr bald vor der Eingangstür. Man hatte sie aus dickem Holz gefertigt und die Außenseite mit Schnitzereien versehen. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, welche Motive die Schnitzereien zeigten.
Gräber hatten wir genug gesehen, von Leila und Aldo fehlte nach wie vor jede Spur.
Fanden wir sie in der Leichenhalle?
»Okay«, sagte Claude in einem breiten Slang. »Ich werde die Tür jetzt öffnen.«
Wir nickten. Unsere
Weitere Kostenlose Bücher