0349 - Brücke der knöchernen Wächter
Hände ballte und mit den Fäusten gegen die Wand drosch.
Es waren Schläge der Wut, aus dem Haß geboren, und ich hörte ihr wildes Schluchzen. Gleichzeitig vernahm ich die schleppenden Schritte, als sie näherkam und kopfschüttelnd ihren alten Platz einnahm. »Aldo!« Ihr Gesicht hatte sich verzogen, und sie deutete auf die Wand. »Aldo, verflucht, wir kommen nicht mehr durch! Sie ist verschlossen.«
»Für immer?«
»Ich weiß es nicht!«
»Bulle!« Plötzlich wandte sich Aldo wieder an mich, nahm die Mündung von der Stirn weg und setzte sie mir unter das Kinn. Ich konnte in ein Gesicht schauen, das von einer widerlichen Bösartigkeit entstellt war. »Bulle, du wirst mir sagen, wie lange das noch alles dauert. Nur du, verfluchter Hundesohn…«
Der Druck am Kinn war stark. Es fiel mir aus diesem Grunde schwer, eine Antwort zu formulieren. »Die Zeit ist um!« flüsterte ich. »Jetzt mußt du noch einen Tag warten. Oder fast einen Tag, aber 23 Stunden. Hast du gehört?«
»Ja, Bulle. Aber so lange werde ich dich nicht am Leben lassen, deine Zeit ist nämlich abgelaufen.«
Die letzten Worte waren so scharf gesprochen worden, daß ich damit begann, mit meinem Leben abzuschließen. Auch Leila hatte sich damit abgefunden. Ich bemerkte noch, wie sie sich von mir entfernte, um sich hinter Aldo aufzustellen.
Aldo lachte. »Ich will mich ja nicht selbst beschmutzen«, erklärte er und ging einen Schritt zurück. »Um sicher zu sein, Sinclair, werde ich dir die Kugel in den Kopf setzen. Hast du gehört? In den…«
Ein Schrei!
Im nächsten Augenblick bekam Aldo einen Stoß, der ihn nach rechts katapultierte, und ich sah vor der Mündung die Feuerblume aufplatzen, bevor ich den Schuß hörte…
***
Nicht allein Aldo und Leila hatten gesehen, wie ihr Feind aus der Wand trat, auch die alte Aische.
Ihr war schon längst klargeworden, daß die Fremden, obwohl sie sich kannten, Todfeinde waren, und sie mußte sich für eine Seite entscheiden.
Das war sehr einfach, denn die Frau und der Mann dienten dem Bösen, dem sie abgeschworen hatte.
Aber sie war zu schwach. Die beiden konnten mit ihr machen, was sie wollten, deshalb hütete sie sich auch einzugreifen, obwohl sich, je mehr Zeit verstrich, allmählich in ihrem Kopf ein gefährlicher Plan festsetzte.
Sie erkannte, daß ihr Alter plötzlich zu einem Vorteil geworden war, denn niemand achtete auf sie. Wer traute einer hundertjährigen Frau schon zu, gegen zwei in der Blüte des Lebens stehende Menschen anzugehen?
Beide drehten ihr den Rücken zu. Auch von John Sinclair konnte sie nicht viel sehen, weil der Körper des anderen Mannes ihn verdeckte, aber sie wußte sowieso, in welch großen Schwierigkeiten dieser Mann steckte.
Sie bewegte sich.
Es fiel ihr schwer, da sie sehr lange in ihrem Kreuzsitz auf dem Boden gehockt hatte. Vor allen Dingen waren die langsamen Bewegungen nicht leicht, da sie auf keinen Fall etwas überstürzen durfte und die anderen damit warnte.
Aische streckte ihren Oberkörper. Keiner der anderen merkte etwas davon, und das war auch gut so, denn auf diese Art und Weise konnte sie auch nicht verraten werden.
Inzwischen war es ihr gelungen, die beiden Arme so weit auszustrecken, daß die Hände den Boden berührten, und ein erstes Lächeln zuckte um ihre faltigen Lippen.
Die beiden sprachen noch immer, und dann fiel ihnen auf, daß die Wand sich veränderte.
Aische wußte den Grund, die beiden Eindringlinge nicht und waren deshalb so überrascht.
Auch veränderte der andere Mann seine Haltung, während das Halbblut vorlief, verzweifelt die Wand abtastete und doch nichts erreichen konnte. Es gab keinen Durchschlupf mehr.
Auch Aldo war wie von Sinnen. Er konnte es kaum fassen und gab John Sinclair die Schuld.
Aische drückte sich hoch. Wenn sie etwas erreichen wollte, durfte sie keinesfalls liegenbleiben. Ohne die beiden anderen aus den Augen zu lassen, blieb sie gebückt stehen und sah, wie die Frau wieder zu ihrem Platz zurück wollte.
Eigentlich hätte sie Aische jetzt sehen müssen, aber sie hatte nur Augen für ihren Freund und den blonden Mann.
Aldo stand vor dem Mord.
Das wußte Aische, obwohl sie die englisch gesprochenen Worte nicht verstehen konnte. Das Gefühl sagte ihr, daß es fast soweit war.
Aufs Korn hatte sie die Frau genommen. Sie war das schwächste Glied in der Kette.
Und Aische griff an.
Sie stolperte nach vorn, hatte für eine schrecklich lange Sekunde das Gefühl, die Frau nicht mehr erreichen zu können.
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