035 - Wettlauf gegen die Zeit
zum Opfer gefallen oder auf der Heimfahrt erfroren.
Die meisten seiner Dysdoorer Kämpfer musste er wecken. Und selbst wenn er das schaffte, gaben sich viele nicht einmal Mühe so zu tun, als würden sie ihm zuhören. Sie lallten entweder im Fieberwahn dummes Zeug vor sich hin, oder sie wurden von Hustenanfällen geschüttelt, oder sie waren die ganze Zeit damit beschäftigt ihre Rotznasen auszublasen.
Manche stellten sich auch einfach schlafend. Wutschnaubend stürmte Haynz durch den Schnee in den Hof seines Palastes zurück.
»Gleemenz! Du Bastard!« Er stürzte ins Kellergewölbe, schloss die Kerkertür auf und riss eine der Fackeln von der Wand. »Wach auf, Unwürdiger!«
Gleemenz hatte nicht geschlafen. Er stand in der Mitte des Kerkers, schlug sich die Arme gegen die Seiten, stampfte auf den Boden auf und klapperte mit den Zähnen. Ängstlich schielte er seinem älteren Bruder entgegen.
»Mein Feuervogel ist weg!« Breitbeinig stand Haynz vor ihm. Er fuchtelte dem Frierenden mit der Fackel vor dem Gesicht herum. »Mein Ratatata funktioniert nicht mehr! Meine Frauen sind mir untreu geworden! Und meine Kämpfer sind krank! Und wer ist Schuld? Wer ist Schuld?! Du! Du! Du…!« Im Takt seiner herausgebeilten Worte schlug er mit der freien Hand auf den Jüngeren ein.
Der duckte sich und zog den Kopf ein.
»Kannix für, Haynz…« , stammelte er. »Ehrlich nich… de mitte Augegläser hat mich jelinkt… de mitte Gläser und Honnes von Coellen…« Mehr brachte er zu seiner Verteidigung nicht hervor.
»Morgen um diese Zeit steht der Feuervogel wieder auf seinem Gerüst!«, schrie Haynz.
»Morgen Abend! Und wenn nicht…« Er packte Gleemenz an der Nase. Die fühlte sich an wie ein Eiszapfen. Langsam zog er ihn zu sich.
»Und wenn nicht, werd ich dir den Kopf abschneiden.« Leise sprach er jetzt, so leise, dass Gleemenz es mit der Angst zu tun bekam.
»Deinen hohlen, schielenden, leeren Schädel werd ich dir absäbeln, so wahr es noch Gerechtigkeit am Großen Fluss gibt.«
Er schaukelte aus dem Kerker, warf die Tür hinter sich zu und schloss ab. Am Treppenabsatz blieb er stehen. Seine achtzehn treulosen Frauen fielen ihm ein. Ein Gedanke schlich durch seine Hirnwindungen, ein Gedanke, der ihm gefiel. »Gute Idee, kluger Haynz, prächtige Idee…«
Er rannte die Treppe hinauf und lief in den Gebäudeflügel, wo die Schlafräume seiner Frauen lagen. Er hatte die achtzehn, die nicht mit Heapert aus Dysdoor geflohen waren, um ihn vor Gleemenz zu warnen, in einem einzigen kleinen Zimmer eingepfercht.
Haynz schloss die Tür auf und leuchtete mit der Fackel in den Raum hinein. Eng aneinander gekuschelt und in warme Decken gehüllt lagen die meist jungen Frauen kreuz und quer über den Boden verteilt.
»Aufstehen!«, brüllte Haynz. Erschrocken fuhren die Frauen aus dem Schlaf hoch.
»Anziehen! Mitkommen! Schnell! Los! Schnell, schnell!« Die Frauen wussten nicht, wie ihnen geschah. Ein Auge immer auf den zeternden Hauptmann unter dem Türrahmen gerichtet, schlüpften sie hastig in ihre Kleider und hüllten sich in Decken und Felle ein.
Kurz darauf folgten sie Haynz aus dem Palasteingang in den nächtlichen Hof hinaus. Keine wusste, was sie erwartete. Die meisten wussten nicht einmal, warum Haynz sie in dieser Nacht eingesperrt hatte. Gleemenz' kurze Rebellion war entweder an ihnen vorbei gegangen oder sie hatten gar nicht bemerkt, dass Heapert und die beiden ältesten Frauen sich mit einem Floß auf den Weg zum Hauptmann gemacht hatten.
Haynz stapfte durch den Schnee. Er ließ Hoftor und Mauer hinter sich und steuerte die Pfahlhüttensiedlung am Flussufer an. An der ersten Hütte blieb er stehen. Krautz Hütte. Mit der stumpfen Seite seiner Axtscheide schlug er gegen die Wand. »Komm raus, Krautz! Dein Hauptmann muss mit dir reden! Komm raus!«
Gemurmel wurde hinter den Hüttenwänden laut, ein Kind fing an zu weinen, ein Mann würgte und hustete, dann hörte man Schritte und schließlich öffnete sich die Tür.
Mit einer Fackel in der Rechten erschien Krautz im Eingang. Er hatte sich in seinen Mantel gehüllt. Husten schüttelte seinen Körper durch.
Haynz reckte ihm den ausgestreckten Zeigefinger entgegen.
»Hör zu, was dein Hauptmann dir zu sagen hat, hör gut zu!« Zwei Frauengesichter erschienen rechts und links hinter Krautz'
Schultern. Neugierig blickten sie auf Haynz herab. »Wenn du morgen bei Sonnenaufgang mit mir nach Coellen in den Kampf ziehst« Haynz drehte sich langsam um und richtete
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