0353 - Die Vampirkutsche
hallo, dachte der Druide und versuchte sich vorzustellen, wie der Fremde in den ersten Stock gekommen sein sollte. Gryf hatte nicht gehört, daß der Bursche eine Leiter angelehnt hatte, um hier zu fensterin. Er mußte geflogen sein…
Und jetzt stieg er ins Zimmer!
Gryf beobachtete ihn aus halbgeschlossenen Lidern. Elena hatte nicht gemerkt, daß ihr Kavalier wach war. Sie schob die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Bemerkenswert aufregende Beine, wie Gryf wieder feststellen mußte. Überhaupt war alles an Elena bemerkenswert, die sich jetzt aufrichtete und dem Fremden entgegensah. Daß sie nackt war wie Eva vor der Vertreibung aus dem Paradies, schien sie nicht im geringsten zu stören.
Gryf versuchte die Gedanken des Fremden zu lesen.
Bloß klappte das nicht. Dachte der etwa überhaupt nicht? Gryf konnte nichts feststellen! Nicht einmal eine Bewußtseinsaura! Ebensogut hätte er versuchen können, einen Roboter zu sondieren. Bei jedem Menschen gab es wenigstens die Bewußtseinsaura, auch wenn die Gedanken an sich abgeschirmt waren. Aber hier war nichts.
Gähnende Leere.
Damit bot der Typ idealste Voraussetzungen, Chef zu werden, fand Gryf. Er betrachtete den Mann. Stämmig, mit dunklem Haar und Schnurr- und Backenbart, etwas altertümlich gekleidet. Seine Augen glühten wie die einer Katze, und er bewegte sich völlig geräuschlos wie ein Gespenst.
Er hob die Hand und winkte. Elena bewegte sich jetzt langsam auf ihn zu.
Sie ist hypnotisiert, erkannte Gryf. Er selbst bemerkte keinen Versuch einer Beeinflussung. Der Fremde war nur an dem Mädchen interessiert.
Jetzt berührte er mit beiden Händen Elenas Schultern. Als er den Mund öffnete, glaubte Gryf zu träumen.
Der Fremde zeigte prachtvolle Vampirzähne!
Noch vor ein paar Wochen hätte es für Gryf kein Halten gegeben. Er hätte dem Blutsauger einen Eichenpfahl ins untote Herz gerammt. Jetzt aber beobachtete er mit fast wissenschaftlicher Neugierde, wie der Vampir zubiß.
Merkte er nicht, daß Gryf wach war und ihn beobachtete?
Elena schmiegte sich an ihn, wie sie sich vorher an Gryf geschmiegt hatte. Der Vampir trank. Aber er ließ schon sehr schnell wieder von seinem Opfer ab. Dann ging alles blitzschnell.
Er faßte zu, hob Elena auf seine Arme und verließ das Zimmer durch das Fenster wieder!
Gryf schnellte vom Bett hoch. Mit zwei Sprüngen war er am Fenster und sah nach draußen. Da segelte der Vampir wie eine riesige Fledermaus nach unten, wo eine zweispännige Kutschte stand. In diese schob der Vampir das Mädchen, schwang sich auf den Block und trieb die Pferde an. Das Erstaunliche war die völlige Lautlosigkeit des Verschwindens.
Gryf versuchte im zeitlosen Sprung die Kutsche zu erreichen. Er konzentrierte sich auf den Kutschbock, auf dem er neben dem Vampir erscheinen wollte. Aber irgendwie klappte es nicht.
Gryf fand sich auf der Straße wieder! Und weil er damit gerechnet hatte, auf einer dahinrasenden Kutsche auf die Sitzfläche des Bocks zu sinken, setzte er sich recht unsanft auf seine vier Buchstaben.
»Verflixt und eingeschneit…« Er sprang wieder auf und wollte den Fehlversuch ausgleichen. Er sprang abermals, verfehlte die Kutsche aber auch diesmal wieder. Die Pferde legten ein höllisches Tempo vor, aber daran konnte es nicht liegen. Da war noch etwas anderes im Spiel.
Die Kutsche war magisch abgeschirmt!
Und Gryf stand da auf der Straße wie bestellt und nicht abgeholt! Der Vampir mit seinem Opfer verschwand in der Nacht. Gryf sah keine Möglichkeit mehr, ihn einzuholen. Dabei hätte er zu gern gewußt, wohin sich dieser lautlose Bursche verkroch. Nicht, um ihn zu pfählen, sondern um möglicherweise Kontakte zu knüpfen.
Aber ein Vampir kommt selten nur einmal. Dieser hier würde auch wiederkommen. Gryf hoffte, ihn dann rechtzeitig zu bemerken. Das würde allerdings nicht so einfach sein. Denn er hatte ja keine Bewußtseinsaura spüren können…
Seufzend sprang er zurück in Elenas Zimmer, kleidete sich an und erreichte schließlich sein Zimmer im Gasthof, das er kaum benutzte. Für den Rest der Nacht quartierte er sich nun hier ein, allein und ein wenig verdrossen.
Elena war eine fantastische Geliebte gewesen. Und allein schlief es sich doch wesentlich ungemütlicher.
Aber daran war nun nichts zu ändern.
***
Professor Zamorra öffnete die Augen. Es war noch Nacht. Warum war er aufgewacht? Da war ein Traum gewesen…
So deutlich, als träume er immer noch, standen die Bilder vor seinem inneren
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