0356 - Die Frau, die zweimal starb
sie konnte so etwas kaum fassen. »Das ist doch nicht möglich!«
»Wäre ich sonst hier?«
»Stimmt auch wieder. Und jetzt?«
Ich gab zunächst keine Antwort, denn ich wollte wissen, wo Suko steckte.
»Der ist nicht da. Auch Sheila, Bill, Myxin und Kara fehlen. Sie sind im Theater. Ein Fall hat sie dorthin geführt.«
»Und welcher?« Shao gab mir einen Überblick und berichtete vor allen Dingen von Myxins Suche nach Erben des untergegangenen Kontinents.
Diesmal war ich überrascht, denn damit hätte ich nicht gerechnet.
Nun ja, ich war in Rumänien gewesen und konnte nicht erwarten, daß sich die Mächte der Finsternis so lange Zeit mit neuen Aktivitäten ließen, bis ich wieder im Lande war.
»Und mehr weißt du nicht?« fragte ich Shao. »Nein.« Ich knetete mein Kinn. »Mich wundert es nur, daß sie in einer so großen Besetzung gefahren sind. Vielleicht steckt doch mehr dahinter, als man bisher hatte ahnen können.«
»Hoffentlich nicht«, flüsterte Shao. Sie bekam eine Gänsehaut. »Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Weißt du, John, wäre es nicht besser, wenn wir gemeinsam mal nachschauen würden?«
Ich schüttelte den Kopf und nickte zugleich. Mein Jein gefiel Shao nicht, denn sie fragte: »Was meinst du damit?«
»Normalerweise ja« erwiderte ich. »Aber ich kann leider nicht mitkommen, sorry.«
»Wieso?«
»Weil ich eine andere Aufgabe zu lösen habe.« Ich drehte mich zur Seite und deutete auf den Schrank, der neben dem Kelch des Feuers noch die Planke mit dem Gesicht meines Freundes Mandra Korab enthielt.
»Welche?«
»Ich muß Mandra befreien!«
Natürlich schockte dieser einfach dahingesprochene Satz die Chinesin, denn Shao wußte genau über Mandra und dessen Schicksal Bescheid. Sie stand da, starrte mich an und schüttelte einige Male den Kopf.
»Aber das ist doch nicht möglich!« hauchte sie. »Du willst tatsächlich Mandra Korab befreien?«
»Ja.«
Sie breitete die Arme aus. »Wie denn?«
»Das weiß ich auch nicht«, gab ich ehrlich zu. »Aber man wird mir schon helfen.«
Shao schaute zur Decke. »Meinst du etwa den Adler, der auf dich wartet?«
»Genau.«
Über ihren Körper lief ein Schauer, und sie wollte etwas sagen, aber sie schaffte es nicht. Es war auch ein sehr harter Stoff, den ich ihr da zu schlucken gegeben hatte. Ich allerdings durfte keinerlei Zeit verlieren, ging auf den Schrank zu und öffnete ihn.
Den Kelch des Feuers beachtete ich nicht. Nur auf die Planke schaute ich und sah innerhalb des alt wirkenden Holzes das Gesicht meines indischen Freundes Mandra Korab.
Als ich ihn so anschaute, bekam ich Magendrücken. Natürlich kannte ich ihn, aber seine Züge hatten sich verzerrt. Sie schufen keine Grimasse, nur wurden sie von einer gewissen Anstrengung gezeichnet, ebenso von Depression.
Der Ausdruck der Augen kam mir müde vor, verlassen, verloren, ohne eine Hoffnung.
Ich wußte, was Mandra Korab durchgemacht hatte und fühlte mich selbst dem Heulen näher als dem Lachen.
»Verdammt!« flüsterte ich. »Wenn es eben geht, hole ich dich da raus, Mandra, das verspreche ich dir.«
Ob er mich gehört hatte, wußte ich nicht. An seinem Gesicht jedenfalls las ich keinerlei Reaktion ab. Und wenn ich über seine Wangen strich, fühlte ich nur das rauhe Muster des Holzes unter den Fingerspitzen. Von dem Gesicht spürte ich nichts. Es war einfach nur vorhanden, mehr nicht.
Mit der Planke in der Hand drehte ich mich wieder um. Shao kam zu mir. Auch ihr Gesicht war ernst. »Ich habe mir, als ich in deiner Wohnung saugte, das Bild so manches Mal angeschaut, und du kannst dir vorstellen, welche Gedanken mich quälten, aber nie hätte ich es für möglich gehalten, daß du noch einmal versuchen würdest, Mandra zu befreien.«
»Wieso nicht?«
»Ich weiß auch nicht!« hauchte sie. »Es erschien mir alles so fremd, so weit weg und so endgültig, wenn du verstehst.«
»Da hast du recht.«
Gemeinsam blickten wir auf die Planke. Es war sehr schwer zu glauben, daß sich in diesem alten Holzstück ein Mensch befand.
Oder der Geist eines Menschen, wobei das Gesicht vielleicht nur mehr ein zurückgebliebener Schatten war, dem Original detailgetreu entsprechend.
Ich hatte mir die Planke lange Zeit nicht mehr angeschaut, und mir fiel etwas auf.
Das Gesicht selbst hatte sich zwar nicht verändert, dennoch war es anders geworden, denn mir kam es vor, als hätte es eine gewisse Blässe bekommen und wäre dabei, allmählich zu verschwinden oder von der Planke
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