0356 - Die Tarot-Hexe
befleißigen. Damit Sie sich daran gewöhnen können, lasse ich Ihnen noch ein wenig Zeit. Pierre, haben Sie ein Zimmer für uns? Dann zeigen Sie es uns doch bitte…«
Keiner sprach. Aber Pascal Lafittes Gesicht zeigte deutlich, daß er diesem Dr. Graque die eiskalte Abfuhr gönnte.
Pierre nahm einen Schlüssel vom Brett hinter sich. »Vier«, sagte er.
»Mit Blick auf die Loire. Ist’s recht? Haben Sie Gepäck im Wagen?«
»Haben wir, holen wir später«, sagte Zamorra. »Herrschaften… ?«
Er nickte den anderen grüßend zu, schenkte Dr. Graque ein Lächeln und folgte Pierre Mostache durch die schmale Seitentür zur Treppe, die nach oben führte. Dabei fing er einen seltsamen Blick der blonden Frau am Einzeltisch auf, der ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ. Obgleich er nichts zu verbergen hatte, fühlte er sich trotzdem durchschaut. Hatte die Frau einen Röntgenblick?
Eine Etage höher schloß Pierre die Zimmertür auf. Zamorra berührte seine Schulter. »Pierre, was sind denn das für drei komische Vögel? Sind die tatsächlich von der Versicherungsgesellschaft?«
Mostache nickte. »Direkt aus Paris, und sie benehmen sich, als wären sie Götter und wir hier im Dorf die letzten Bauerntrottel. Städtische Arroganz… war das herrlich, wie Sie diesen Graque abgefertigt haben, Professor! Das hat er sich redlich verdient… seit ein paar Stunden sind die schon hier, diskutieren über Gutachten und über Brandstiftung, und dieser Graque hat schon verkündet, daß die Versicherung den Schadensfall auf keinen Fall übernehmen wird…«
»Weshalb sind die Typen dann überhaupt hier?« fragte Nicole. »Das könnten sie ja auch schriftlich mitteilen… ist es wegen der angeblichen oder tatsächlichen Brandstiftung?«
Mostache nickte. »Es hat eine erregte Diskussion gegeben. Pascal und Vaultier haben versucht, den Leuten diese Ablehnung auszureden. Aber bei der Sache ist nichts herausgekommen. Man hatte gerade beschlossen, noch eine Ortsbesichtigung vorzunehmen, gewissermaßen abschließend… die Leute sind natürlich auch sauer, weil Sie die ganze Zeit über außer Landes waren und alles über Ihren Anwalt lief. Das hat die Gemüter erhitzt. Man munkelte sogar etwas von Tatverschleierung.«
»Wer munkelte das?« fragte Zamorra. »Die Versicherungs-Typen?«
Pierre Mostache nickte.
»Danke, Pierre«, sagte Zamorra. »Wenn die Gemüter sich da unten etwas beruhigt haben, werden wir uns mal der Ortsbesichtigung anschließen. Ich möchte doch zu gern wissen, was die da ausknobeln wollen…«
Nicole lächelte.
»Ich glaube, wir haben uns bei Doktor Graque nicht gerade gut eingeführt… immerhin sind wir auf das Geld der Versicherung angewiesen. Denn aus der hohlen Hand können wir den Wiederaufbau auch nicht finanzieren, mein Lieber. Und wir brauchen auch Reserven für unsere Reisen bei der Dämonenjagd, die uns auch keiner finanziert…«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Für Graque ist der Fall doch schon entschieden, wenn er es bereits herausposaunt hat, daß die Versicherung nicht zahlt… und wenn er dann von ›rauchenden Trümmerhaufen‹ spricht, noch dazu in diesem aggressiven Tonfall… dann darf er sich nicht wundern, wenn das Echo zurückkommt. Auch in Graques Kinderstube sollten eigentlich gute Manieren und Höflichkeit gelehrt worden sein… also gut. Machen wir uns frisch, das haben wir uns nach der Aktion in Gresanne verdient, und kümmern uns dann um die Leute.« Pierre Mostache war so nett.
Und Zamorra war gespannt, was Dr. Graque und seine Kollegen ihm in ihrer Ablehnungsbegründung zu erzählen hatten.
***
Ysabeau Derano wußte jetzt, warum das Schicksal sie hierher geführt hatte. Der Anblick jenes hochgewachsenen, dunkelblonden Mannes im weißen Anzug hatte es ihr verraten. Er war der Grund ihres Hierseins.
Der Impuls war überstark geworden.
Ein innerer Drang hatte sie, die Zigeunerin, die getrennt von ihrer Sippe lebte, von Paris hierher geführt. Bis jetzt hatte sie nicht gewußt, aus welchem Grund, aber sie hatte schon als Kind gelernt, dem inneren Drang zu gehorchen. Es war jedesmal wichtig gewesen, und sie hätte einen Fehler begangen, wenn sie widerstanden hätte. Die alte Rietta hatte es gewußt und ihr gesagt, daß sie ihren Weg gehen solle, um nicht unglücklich zu werden. Aber der junge Mann, den sie hatte heiraten sollen, war anderer Ansicht gewesen, und zudem hatte der Drang ihr gesagt, sie solle diesem Mann aus dem Weg gehen. Sie hatte sich geweigert, ihn zu
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