0364 - Mongolenfluch
Motor ab. Wenig später sah er in der Ferne einen Militärjeep auftauchen, der von rechts nach links an ihm vorbei strebte. Wang preßte die Lippen zusammen. Wäre er weitergefahren, hätten ihn die vier chinesischen Soldaten im Jeep unweigerlich sehen müssen. Sie waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Eine Grenzpatrouille.
Demnach mußte er der Grenze schon sehr nahe gekommen sein.
Als der Jeep außer Sicht war, startete Wang den russischen Beute-Geländewagen wieder, rangierte ihn aus dem schützenden Gebüsch hinaus und setzte seinen Weg fort. Er kreuzte die Spur, die der Patrouillen-Jeep hinterlassen hatte. Hier war eine Art Straße entstanden, durch festgefahrenen Boden, auf dem selbst das zähe Steppengras nicht mehr wuchs. Offenbar wurde hier mehrmals täglich patrouilliert.
Pech, dachte Wang Lee. Sie werden meine Spur ebenfalls finden.
Aber er wollte sich nicht die Zeit nehmen, diese Spur zu verwischen, außerdem hatte er sie wahrscheinlich nicht einmal. Wenn er sich bemühte, die Grashalme, die er niedergewalzt hatte, auf Sichtweite wieder aufzurichten, würde ihn das möglicherweise so lange aufhalten, bis die nächste Grenzpatrouille erschien.
Also fuhr er weiter.
Gut, sie würden an der Richtung der niedergefahrenen Halme erkennen, daß hier ein Wagen von Süden nach Norden gefahren war, von der Volksrepublik China hinüber in die Mongolei. Aber sie würden ihn nicht mehr aufhalten können. Es war fraglich, ob sie ihm nachfahren würden. Und auf mongolischer Seite gab es in weitem Umkreis keine Stadt und wahrscheinlich auch keine Garnison, von der aus man ihm Soldaten entgegenschicken konnte, um den illegalen Grenzgänger festzunehmen.
Er kannte die Lage hier im Grenzgebiet nicht genau. Sie interessierte ihn auch nicht. Wichtig war nur, daß er Ghet-Scheng erreichte - daß er sich vorsichtig anpirschen konnte, um die Lage zu sondieren. Einmal glaubte er, kurz die Berührung eines fremden Geistes zu spüren, der dem seinen überraschend ähnlich war. Doch bevor er sich seiner Sache wirklich sicher sein konnte, war dieser Eindruck wieder geschwunden.
Wang Lee mußte annehmen, daß es eine Täuschung gewesen war.
Er setzte seinen Weg fort. Inzwischen war er auf mongolischer Seite angekommen.
Aber bis Ghet-Scheng war es noch weit.
***
Der Hubschrauber jagte nach Norden. Ti-Lai Mikou hatte nicht einmal nachgefragt, wem konkret nun die Suche galt. Sie saß im Cockpit des Hubschraubers und verhielt sich schweigsam. Rob Tendyke hatte sich neben ihr niedergelassen. Von seinem Platz aus konnte er notfalls in die Steuerung der Maschine eingreifen. Aber er zeigte nicht, daß er das Können dazu besaß.
Hinten saßen Zamorra und Nicole.
Zamorra hatte das Amulett aktiviert. Er überprüfte Ti-Lai. Die Chinesin lag unter einem fremden Bann, das spürte er deutlich. Sie war beeinflußt. Aber diese Beeinflussung schien keine direkte Bedrohung darzustellen. Etwas lenkte und leitete sie, mehr geschah nicht.
Sie zeigte keine Aggressivität.
Zamorra verstand das nicht. Er spürte deutlich, daß es ein dämonischer Einfluß war, der Ti-Lai steuerte. Aber merkte der Dämon nicht, wer sich da in der Nähe seiner Dienerin befand?
Nicole verglich den Kurs des Hubschraubers mit der Karte. Sie näherten sich der Grenze. Die war etwas über zweihundert Kilometer vom Ölcamp entfernt. Wenn Zamorras Verdacht, was das Auftauchen Wang Lees in dieser Gegend anging, stimmte, dann würden sie hinüber in die Mongolei müssen.
Im wesentlichen folgte der Helikopter der Straße, die nach Norden führte, kein Fahrzeug war weit und breit zu sehen. Manchmal war die Straße kaum als solche zu erkennen. Zamorra hoffte, daß sie den Wagen Wang Lees trotzdem noch vor Einbruch der Dunkelheit entdecken würden. Ti-Lai flog in beträchtlicher Höhe, damit sie einen größeren Überblick erhielten. Sie brauchten aus der Höhe natürlich gute Augen, um Bewegungen auf der Erde festzustellen, aber bei Tageslicht ging das. Wenn die Dämmerung einsetzte, würde es schon schwieriger werden.
Zamorra war sicher, daß sich Wang Lee der Straße bedienen würde. Warum sollte er es nicht tun? Er rechnete sicher nicht mit einer Verfolgung. Schon gar nicht mit einer Verfolgung aus der Luft.
»Er ist auf dem Weg zur Stadt«, behauptete Zamorra. »Und es ist seine Stadt.«
»Du meinst, die Ruinenstadt wäre jene, die damals von Dschinghis-Chan niedergebrannt wurde? Aber was will er nach so langer Zeit da noch? Es sind siebenhundert und mehr Jahre
Weitere Kostenlose Bücher