0365 - Im Spiegel sah sie ihren Mörder
immerhin ist Tabor jetzt einsichtig geworden und hat sehr nachdrücklich um weiteren Schutz gebeten.«
Ich blickte auf die Uhr.
»Es ist noch nicht elf. Wird Zeit, daß ich Cliff Wilker nochmal auf den Zahn fühle. Bin gespannt auf sein Alibi.«
***
»Scheren Sie sich zum Teufel«, knurrte Cliff Wilker, als ich auf seiner Hundefarm aus dem Jaguar stieg. »Sie brauchen mich gar nichts zu fragen. Ich weiß nichts. Ich weiß nicht, wo mein Bruder steckt. Ich habe ihn nicht gesehen. Er war nicht hier. Er wird bestimmt nicht kommen. Ich…«
»Halten Sie die Luft an«, unterbrach ich den grobschlächtigen Burschen, der mit einem Eimer Pferdefleisch in der Hand vor dem Zwinger der Wolfshunde stand. »Sie werden noch genug Puste für ihre Verteidigung brauchen.«
»Was?« schnappte er.
»Sie haben richtig gehört. — Als erstes möchte ich wissen, wo Sie während der vergangenen Nacht gewesen sind?«
»Was geht das Sie an?«
»Hören Sie mal«, sagte ich ruhig. »Sie wissen doch, daß ich G-man bin. Entscheiden Sie sich! Entweder Sie antworten mir hier — und zwar in einem vernünftigen Ton — oder Sie kommen mit.«
»Ich möchte doch mal sehen, ob Sie mich…«
»Riskieren Sie’s lieber nicht. Ich bin schon mit anderen Burschen fertig geworden.«
Er stellte den Eimer ab und leckte sich über die Lippen. Sein Blick wanderte zu den Wolfshunden, die hechelnd hinter dem Drahtzaun des Zwingers auf und ab liefen.
»Also gut, ich sage Ihnen, 'wo ich letzte Nacht war. In Peconic.«
»Wo dort?«
»In der Long-Island-Bar.«
»Sicherlich hat man Sie dort gesehen?«
»Natürlich, denn ich pflege nicht unsichtbar aufzutreten«
»Wann waren Sie dort?«
»Ungefähr von 11 Uhr abends bis 5 Uhr früh.«
Ich grinste kalt. »Prima Alibi. Genau die Zeit, in der die Mordversuche passierten.«
»Was für Mordversuche?«
Ich winkte ab »Kaufen Sie sich ’ne Zeitung. Falls Sie lesen können, werden Sie feststellen, wovon ich spreche. Übrigens: Ihr Gehilfe war doch die ganze Nacht hier?«
»Natürlich.«
Ich stieg in meinen Wagen und fuhr über die holprige Straße davon.
***
Peconic ist ein elegantes Nest und liegt an der Little Peconic Bay, ziemlich am Ende von Long Island. Der Ort hat einige kleine Privathäfen, parkähnliche Grundstücke und anderthalb Geschäftsstraßen. In einer Seitengasse fand ich die Long-Isiand-Bar. Sie lag im Keller eines mehrstöckigen Backsteinhauses, das ohne Vorgarten an die Straße stieß. Fünf Stufen führten hinunter.
Ich legte die Hand auf die Chromklinke. Die Tür war verschlossen. Hinter den grünen Fensterscheiben zu ebener Erde hingen Vorhänge. Das Etablissement wirkte so verlassen wie ein Strandbad im Winter. Ich stieg wieder hinauf und ging zu der Eingangstür des Backsteinhauses. Es gab eine Reihe von Klingelknöpfen und daneben Namen auf Messingschildem. Keiner der Namen sagte mir etwas. Ich entschloß mich, bei »Florence Kovar« zu läuten, denn der Name klang irgendwie nach jung und hübsch.
Ich deponierte den Daumen für einige Sekunden auf dem Klingelknopf und wartete. Es dauerte nicht lange, bis der Türöffner summte. Ich schob die Tür auf und trat in ein staubiges, pastellfarbenes Treppenhaus. Durch ein Fenster am ersten Absatz der Treppe fiel grelles Sonnenlicht. Ungezählte Staubteilchen tanzten' in den Strahlen.
Die vier Parterre-Türen blieben geschlossen Also stiefelte ich die Treppe hinauf Im ersten Stock gab's einen kurzen Flur. Links,an der Wand hing ein großer, altmodischer Spiegel Darunter stand ein krummbeiniger Tisch mit 'ner Vase drauf In der Vase steckten hohe, verstaubte Papierblumen, »Wollen. Sie zu mir?«
Die Stimme kam aus dem hinteren Teil des Ganges. Dort war es ziemlich duster, und meine Augen hatten sich noch nicht an die trübe Hausbeleuchtung gewöhnt. Immerhin — die Stimme klang nach jung und hübsch.
Ich riß mir den Hut vom Kopf, tappte in den dunklen Flur hinein und sagte: »Mein Name ist Cotton. Ich bin FBI-Agent Entschuldigen Sie, daß ich bei Ihnen geklingelt habe. Aber ich möchte gern wissen, wer der Besitzer der Long-Island-Bar ist. Unten meldet sich niemand. Und ich dachte, vielleicht weiß es jemand der Hausbewohner.«
Ich hatte das Ende des Flurs erreicht. Auf der Schwelle der letzten Tür stand eine junge Frau. Meine Augen wurden jetzt mit dem Dämmerlicht fertig, und ich konnte die Lady mit Hingabe anstarren. Sie hatte das silberblonde, lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengerafft und den Kontrast zum
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