0365 - Im Spiegel sah sie ihren Mörder
Handschrift. Er hatte nur drei Worte geschrieben: »Sofort zum Chef!«
Ich legte schnell noch ein paar Akten und etwas Papierkram auf den Schreibtisch, damit es ein bißchen nach Arbeit aussah, dann spurtete ich zum Chefzimmer. Als ich eintrat, sah ich mich einer zehnköpfigen Versammlung gegenüber. Alle hatten ernste Gesichter, und der kleine Sammy Dobster knotete an seinen Fingern herum, was bei ihm ein Zeichen von höchster Spannung ist »Nehmen Sie Plats. Jerry«, sagte Mister High, nachdem er mich mit einem Nicken begrüßt hatte. »Sie werden mit Phil die Untersuchung in- dem vorliegenden Fall leiten. Falls Sie Unterstützung brauchen, stehen Ihnen die hier versammelten Kollegen zur Verfügung. Notfalls mehr. — Es handelt sich um Menschenraub.« Mr. High machte eine Pause und ließ mich das Wort verdauen. »Ich wiederhole kurz, was ich Ihren Kollegen eben schon dargelegt habe — Vor nunmehr«, er blickte auf seine Armbanduhr, »vierzig Minuten rief Missis Wanda Frazer, die Frau des Millionärs Emmett Frazer, hier an und erklärte, daß ihre Tochter Peggy in der letzten Nacht entführt worden sei. Der Täter habe gerade angerufen und eine halbe Million Dollar Lösegeld verlangt — andernfalls werde er Peggy Frazer umbringen. Er drohte das gleiche an für den Fall, daß die Frazers sich an die Polizei wenden. Nun, die Leute haben sich dennoch entschlossen, uns zu benachrichtigen. — Um das Mädchen nicht zu gefährden, müssen wir sehr unauffällig vorg'ehen. Ich halte es für das beste, wenn Sie, Jerry, zunächst allein zu den Frazers fahren und den genauen Tatbestand untersuchen. Nehmen Sie einen unauffälligen Wagen. Die Frazers wohnen in Seldon auf Long Island.«
»Wie alt ist Peggy, Chef?«
»Keine Ahnung, Jerry. Die Frau war am Telefon so aufgeregt, daß sie nicht eine einzige Frage beantworten konnte.«
»Es ist kein Kind mehr«, sagte ich, »vor ein paar Tagen habe ich den Namen Peggy Frazer schon einmal gehört. Dabei wurde sie von einer Barbesitzerin als ›guter Gast‹ bezeichnet. — He, da fällt mir ein, daß Cliff Wilker einmal versucht haben soll, mit dieser Peggy Frazer zu flirten. An der Bar. Das war in der Nacht, als der Anschlag auf die Tabors verübt wurde.«
Ich hörte, wie Phil pfeifend die Luft einsog.
»Es sollte mich nicht wundem, wenn Butch seine Hand im Spiel hat.«
Seldon liegt etwa auf halbem Wege zwischen New York und Peconic. Eines der letzten Hauser auf der Nordseite des Ortes gehörte dem Millionär Emmett Frazer. Eis war ein riesiger Besitz mit einem verwilderten Garten, in dem seltene exotische Pflanzen und Unkraut wuchsen. Das Haus lag hinter Nadelbäumen versteckt, war kanariengelb und zweistöckig. Man hätte einen Panzerkreuzer darin verstecken können.
Zu dem Haus führte eine Auffahrt, deren Teerdecke rissig und mit dünnen Grasbüscheln gesäumt war. Die Auffahrt endete vor zwei mächtigen Garagentüren im Erdgeschoß des Hauses. Links führte eine ausgetretene Treppe empor. Sie mündete auf ein terrassenartiges Podest, und von dort konnte man ins Haus gelangen.
Ich parkte den alten Chevrolet, mit dem ich gekommen war, klomm die Treppe empor, trabte über die Terrasse und trat durch die weit geöffnete Tür in eine Vorhalle. Sie reichte bis unters Dach, war mit Möbeln vollgestopft und so warm wie ein Treibhaus.
Kübel und Töpfe mit Kakteen und Palmen standen herum. Es roch nach Kunstdünger. Im Hintergrund gab es eine mit roten Perserbrücken ausgelegte Treppe und zwei Mahagonitürer.
»Hallo«, sagte ich in die Stille, »gibt’s hier keinen Empfangschef?«
Ich ging weiter in die Halle hinein und umrundete eine Palmengruppe Dahinter standen Sessel Parallel zur Wand hatte man eine Couch mit hoher Lehne aufgestellt, und hinter der Wand war ein großes Fenster. Es war geschlossen und ließ nur wenig Licht herein. Vor dem Fenster standen Büsche mit dicken, fleischigen Blättern. Das Fenster war sehr hoch — in seiner Größe den Maßen der Halle durchaus angepaßt. Im unteren Drittel des Fensters, etwa in Brusthöhe, war ein Loch in der Scheibe. Ein kleines Loch, etwa so, daß man einen Bleistift hindurchschieben konnte. Von dem Loch liefen sternförmig Risse nach allen Seiten.
Für mich gab es keinen Zweifel, daß das Loch von einem Geschoß herrührte.
Ich blickte mich um.
Wann war hier geschossen worden? Auf wen? Wer hatte geschossen.
Ich trat näher zum Fenster. Dabei sah ich den Arm. Bis zum Ellbogen ragte er hinter der Couch hervor. Es war
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